28. Die Altstadt von Wismar

SOKO, Segelschiffe & seltsame Straßennamen

Wismar! Kenne ich seit Jahrzehnten sehr gut – allerdings nur aus dem Fernsehen durch meine Lieblings-Krimiserie #SOKO Wismar. Trotzdem habe ich es bisher nicht geschafft, die Stadt zu besuchen. Welterbe-Tour sei Dank war es endlich soweit. Ich habe die Reise auf den Termin des Hafenfestes gelegt und erst einige Tage zuvor ein besonderes Angebot mit dem Potential zur Traumerfüllung gesehen: Ein Törn auf einem alten Segelschiff! Steht seit rund 20 Jahren auf meiner Will-ich-unbedingt-mal-machen-Liste. Und war leider ausgebucht… Optimist der ich bin, ließ ich mich auf die Warteliste setzen – und hatte Glück!

Das Welterbe-Haus in Wismar ist auch schon eine Sehenswürdigkeit: Ein saniertes, sehr altes Gebäude mit einem Glasanbau und sehr originell gestaltem Garten. Das dortige Modell der Stadt inklusive Kanäle nutzen auch nicht-menschliche Touristen.

Welterbe-Haus Wismar
Neulich am Welterbe-Haus in Wismar: Kanal-Baden
Tag 1 – Erste Erkundung & Hafenfest

Nachdem die Bahn mich pünktlich! am frühen Nachmittag nach Wismar gebracht hat, war ich schon auf dem kurzen Weg vom Bahnhof zum Hotel (#Hansehouse – sehr gemütlich und ideal in der Altstadt gelegen) bezaubert von der Stadt: hübsche alte Häuser, Kanäle, Kopfsteinpflaster, beindruckende Kirche – und das alles auf 500m! Auf dem nachmittäglichen Spaziergang sah ich einen hohen, dekorativen Backsteinturm und wollte wissen, was das war. Es entpuppte sich als ein Wasserturm, dessen grüne Verzierungen den roten Backstein so richtig schön zur Geltung bringen.

Wasserturm Wismar

Eigentlichens Ziel für den Nachmittagsausflug war aber das Hafenfest, also folgte ich den entsprechenden Hinweisschildern und begegnete dabei einem hübschen Park und dem echten Polizeipräsidium. Schon weithin sichtbar: Riesenrad und Riesenschiff – der Hafen. Das sensationelle Sommerwetter hatte jede Menge Besucher zum Hafenfest gelockt und das Anforderungsprofil eines gelungenen Stadtfestes wurde voll erfüllt: Fahrgeschäfte, Imbissstände für jeden Geschmack und Musik von Schlager bis Disco.

Leinen los!

Ein langgehegter Traum: Auf einem großen Segelschiff mitfahren! Es war toll – und ein wenig enttäuschend. Die #Albatros ist optisch ein Traum, alles aus Holz und seit über 80 Jahren im Dienst. Hier geht das Segelsetzen noch komplett per Hand und man erlebt, wie wichtig ein eingespieltes Team ist, um diese Schwerstarbeit hinzukriegen. Zusammen mit 19 anderen Segelfans von sechs Jahren aufwärts durfte ich das alles begeistert und beeindruckt beobachten.

Segelschiff Albatros im Hafen Wismar

Apropos junge Segler: Ich hatte angeregte Gespräche mit einer 8-jährigen Segelexpertin. Lieblingssatz: „Vor einem Jahr, als ich noch nicht so viel wußte.“ Anne hat vor einem Jahr mit dem Segeln angefangen und ist absolut begeistert. Sie plant ihr ganzes Leben schon rund ums Segeln, mit einem Hausboot als Wohnsitz. Zauberhaft!

Und wo war jetzt die Enttäuschung? Ich bin ja schon ein paar mal gesegelt, aber natürlich auf kleinen Yachten. Und da erlebt man den Wind sehr unmittelbar in der Bewegung des Bootes, was für mich den Spaß am Segeln ausmacht. Bei der großen Albatros waren diese Bewegungen praktisch nicht zu spüren. Trotzdem: Ein richtig schöner Tag auf einem richtig schönen Schiff!

Im Wismarer Hafen lagen auch noch andere alte Segelschiffe, einem davon, der Wissemar, begegneten wir auch. Das auffällige Segel veranlasste meine kleine Segelexpertin zu der Frage, ob es hier Piraten gäbe. Ich beruhigte sie, kurz voher war ein Schiff der Küstenwache an uns vorbeigekommen, da konnte doch nichts passieren!

Segelschiff Wissemar
Die Wissemar – Piraten an Bord?
SChöne Geschichte und Geschichten – die Wismarer Altstadt

Nach dieser Welterbe-Tour steht Wismar auf der Liste meiner Lieblingsstädte ganz oben. Die schöne Architektur, die spannende Geschichte der Stadt – Wismar war zum Beispiel von 1648 bis 1903 in schwedischem Besitz -, natürlich das Meer und auch die vielen freundlichen Menschen, die ich getroffen habe.

Die Stadt wurde 1259 Mitglied der Hanse, was auch einer der Gründe ist, warum Wismar zusammen mit Stralsund als Beispiel einer vollständig erhaltenen mittelalterlichen Seehandelsstadt Weltkulturerbe wurde. Eines sind die Altstadtstraßen auf jeden Fall nicht: langweilig. Trotz des einheitlichen architektonischen Bildes, auf das auch bei Neubauten, vor allem aber bei der Restaurierung alter Häuser Wert gelegt wird, sind die Gebäude abwechslungsreich in ihren Farben und Details.

Straße mit schönen Giebelhäusern in Wismar

Den Marktplatz ziert ein Wasserbrunnen, die „Wismarer Wasserkunst„. Erbaut Ende des 16. Jahrhunderts, ist er ein Zeichen für den Beginn einer organisierten Versorgung der Bevölkerung mit sauberen Wasser. Dafür legten sich die Stadtoberen ganz schön ins Zeug: Das Wasser wurde aus einer Quelle in sechs Kilometer Entfernung über Holzrohre in die Stadt gebracht und von der „Wasserkunst“ aus weitergeleitet.

Brunnen "Wasserkunst Wismar"

Am Marktplatz steht auch das mit dem Baujahr 1380 älteste Haus der Stadt, passender Name „Alter Schwede„. Diese Architektur mit den dekorativen Giebeln lässt so manchen modernen Bau ganz schön langweilig aussehen.

Ältestes Haus Wismars: "Alter Schwede"
Straßenname der besonderen Art

Ganz in der Nähe des „Alter Schwede“ findet man ein blaues Straßenschild mit einem alten Straßennamen. Oft geklaut, deshalb nur noch aufgemalt.

Straßenschild "Tittentasterstraße"

Der Name ist tatsächlich gar nicht so anrüchig, wie er klingt: Die bezeichnete Straße war nur ein schmaler Durchgang. Zwei Personen konnten nicht aneinander vorbeigehen, ohne die Anatomie des anderen etwas näher kennenzulernen. „Titten“ hatte übrigens gar nicht die abwertende Bedeutung wie heute – das Wort bezeichnete im Mittelalter sowohl die weibliche, als auch die männliche Brust.

Wismars schönste Farbe: Backstein-Rot

Nicht nur aufgrund der SOKO Wismar-Folgen verbinde ich mit der Stadt vor allem die beeindruckenden Backstein-Kirchen. Im Rahmen der Führung sahen wir St. Marien aus dem 14. Jahrhundert, die im 2. Weltkrieg stark beschädigt und 1960 gesprengt wurde. Die Ruinen wurden abgerissen, der Turm blieb stehen, weil man bei einem Abriss um die eng dahinter stehenden Häuser fürchtete. Und er ist mit seiner 80 m Höhe ein Seezeichen. Der Platz davor wurde ein Parkplatz. Im Jahr 2001 wurden die Fundamente der Kirche wieder ausgegraben und die Standorte der mächtigen Säulen, die das Kirchenschiff getragen haben, durch originalgetreue Sockel gekennzeichnet. Zwischen ihnen schmücken Kunstwerke den Platz.

Mangels Drohne in meinem Rucksack (Hätte ich tatsächlich schon öfters gerne gehabt!) bin ich auf eine Mauer geklettert, um den Platz besser fotografieren zu können. Hat sich gelohnt.

Kirche St. Marien Wismar

Kirche Nr. 2 – St. Georgen – gibt es noch in einem Stück und wir konnten sie von Innen sehen. Sie ist sogar noch älter: aus dem 13. Jahrhundert. Das Gebäude wird mittlerweile als Kulturkirche genutzt und hat auch eine bewegte Geschichte. Im Krieg stark beschädigt, stürzte 1990 bei einem Orkan der Giebel ein. Dabei wurden auch benachbarte Häuser von Trümmern getroffen. Noch vor der Feuerwehr eilten Nachbarn herbei, um ungeachtet des Unwetters und der Gefahr eines weiteren Einsturzes nach Opfern zu suchen und zu helfen. Aus dem Unglück entstand aber auch Gutes: Der Wiederaufbau wurde beschlossen und umgehend in Angriff genommen. 2010 wurde die Kirche wiedereröffnet.

St. Georgen Wismar nach dem Dacheinsturz
St. Georgen nach dem Dacheinsturz
St. Georgen Wismar
Foto: Wikipedia – Krzysztof Golik
Innenansicht St. Georgen
Die spektakuläre Gewölbedecke von St. Georgen

(Fun) fact: An die Deckenrekonstruktion hatte sich zunächst keiner rangetraut. Die Firma, die den Auftrag schließlich übernahm, setzte für die Arbeiten nur junge, unverheiratete Männer ein…

Untote Erinnerungen

Die älteren unter uns erinnern sich noch: Wir saßen 1922 im Kino und sahen „Nosferatu – eine Symphonie des Grauens“, den ersten Vampirfilm. Er wurde zum größten Teil in Wismar gedreht und überall in der Stadt erinnern Bodenplatten an die Drehorte. Einmal gruseln? Bitte schön: Link YouTube

Nosferatu Straßenmarkierungen
SOKO Wismar – Realität und schönes Fake

Das hübsche Backsteingebäude, das in der Serie als Polizeipräsidium herhält, ist das Heilig-Geist-Hospital in der Straße Neustadt. Eigentlich wollte ich auch eine Führung zu den Drehorten der Serie machen, die war aber leider schon ausgebucht. Das echte Polizeipräsidium ist übrigens auch ziemlich beeindruckend.

Polizeipräsidium SOKO-Wismar
Noch eine Geschichte zur Geschichte: Karstadt

Es gab tatsächlich einen Herrn Karstadt und der hat sein Stammhaus in Wismar gegründet. Das war allerdings noch kein Kaufhaus mit einem breiten Angebot unterschiedlichster Waren, sondern, wie 1881 üblich, ein Geschäft mit Artikeln einer bestimmten Gattung, in diesem Fall Kleidung. Zu dieser Zeit gab es ein erstaunlich soziales Konzept, was Preise angeht: Sie richteten sich nach dem Einkommen der Kunden. Wer mehr hatte, zahlte mehr, Arme kauften billiger. Insofern war die Innovation, die Rudolph Karstadt einführte, eigentlich gar nicht so sozial: Festpreise! Und mit noch einer Tradition brach er – es wurde nicht mehr angeschrieben, sondern die Ware gab es nur gegen sofortige Bezahlung. Man sagte ihm den schnellen Ruin voraus. Doch weit gefehlt – das Konzept war von Anfang an eine Erfolgsgeschichte. Das erste Karstadt-Kaufhaus im heutigen Sinn entstand dann 1884 in Lübeck.

Karstadt Wismar