32. Haithabu + Danewerk

Wikinger auf der Jagd nach Verkehrssündern?

Das nenne ich mal ein stimmiges Gesamtkonzept: Selbst die Ampel am Zebrastreifen bei Haithabu zeigt Wikinger! Normalerweise verbindet man ja das Angenehme mit dem Nützlichen – ich habe das Angenehme mit dem Angenehmen verbunden: Besuch bei einer Freundin in Flensburg und das Erkunden des Welterbes Wikingersiedlung und Handelsplatz Haithabu und Grenzbauwerk Danewerk. Hier haben im 9. und 10. Jahrhundert etwa 2.000 Menschen gelebt. Haithabu war der bedeutenste Knotenpunkt für den Fernhandel. Für die Wissenschaft ist das Areal eine Fundgrube für Erkenntnisse nicht nur über die Wikinger, sondern über die Wirtschaft ihrer Zeit generell. Anzahl und Qualität der archäologischen Funde qualifizierten Haithabu und das Danewerk letztendlich als UNESCO Welterbe.

Das Winkingerdorf mit Shopping-Mall
Wikingerdorf
Dekoration an einem Wikingerhaus

Sieben Häuser wurden streng nach den Erkenntnissen der archäologischen Ausgrabungen rekonstruiert. Man kann einige auch von innen ansehen und sich zum Beispiel im Haus eines Tuchhändlers umschauen.

Haus des Schuhmachers
Das Haus des Tuchhändlers
Boot vor dem Haus des Schuhmachers

Wenn man in den dunklen Gebäuden steht, fühlt man sich wirklich in die Zeit versetzt und die Vielfalt der Handwerke ist beeindruckend. Unser Blick durch das Fenster ins Haus des Schuhmachers war fast wie eine Shoppingtour in heutiger Zeit: Das braune Modell mit der Stickerei, das vorne leicht schräg steht, hätte ich gerne an meinen Füssen gesehen.

Blick in des Haus des Schuhmachers

In der Siedlung dreht sich alles um den Handel. Die Wikinger haben sich eine clevere Stelle ausgesucht: Zwischen dem Ostseearm Schlei und der Nordsee-Niederung. Damit befand sich die Siedlung im Zentrum der Handelswege zwischen Nord- und Westeuropa.

Mit den Wikinger verbinden wir eher das Bild eines beilschwingenden wilden Kriegers, gerne grausam und blutrünstig. Aber sie waren auch erfolgreiche Händler mit einem Hang zu Luxusgütern: Sie exportierten Pelze, Fisch, Wachs, Daunen, Honig und Sklaven. Mit dem Erlös kauften sie Seide, Brokat, Wein und Edelmetalle. Im Museum auf dem Gelände kann man viele Exponate bestaunen, die wiedermal zeigen, dass Schönheit zu allen Zeiten die Menschen berührte.

Wikinger-Schmuckstück

Räuberische Krieger waren sie natürlich trotzdem. Ihre Raubzüge führten sie bis nach England, Frankreich, Russlands und Usbekistan, durch das die legendäre Seidenstraße führte. Statt Plünderungen verlegten sie sich im 9. Jahrhundert auf Erpressung: Die Bevölkerung blieb verschont, wenn sie Lösegeld bezahlte. Als Krieger und Eroberer waren sie ganz schön erfolgreich: Ab 1013 herrschte der Wikingerkönig Knut der Große über Dänemark, England, Norwegen und Schweden.

Königliches Schwert
Königliches Schwert

Im Ausstellungsgebäude ist ein rekonstruiertes königliches Schiff zu sehen. Das „Wrack 1“ wurde um 982 gebaut und ist 31m lang. Harald Blauzahn, der große Einiger Dänemarks, soll mit diesem Schiff gesegelt sein. Ein kleines Manko der Ausstellung ist nicht nur hier für mich die Qualität der nachgebildeten Figuren – sie sehen sehr künstlich aus.

Wikingerschiff "Wrack 1"
Runenlesen für Anfänger

Sehr coole Installation ist der Runenstein mit Übersetzung in Deutsch, Englisch und Dänisch. Allerdings: etwas Mitleid habe ich mit den Museumsmitarbeitern, die das den ganzen Tag immer wieder hören müssen…

Danewerk unD die Verirrung

Haithabu wurde im 10. Jahrhundert Teil des Verteidigungssystems Danewerk, mit dem die Wikinger das Grenzland und die Landbrücke zwischen Nord- und Ostsee kontrollierten. Das Danewerk besteht aus Mauern, Wällen und Feuchtgebieten und verlief quer durch das heutige Schleswig-Holstein. Vor rund 1500 Jahren errichtet, sollte es die Halbinsel Jütland vor Eindringlingen zu schützen. Heute sind immer noch 80 Prozent seiner Gesamtlänge zwischen Hollingstedt und Haithabu erhalten. Mehr dazu.

Der Weg vom Ausstellungsgebäude zum Wikingerdorf sollte ungefähr 1 km sein. Wir sind dem Wall gefolgt und haben einen schönen Spaziergang mit Blick auf die Schlei gemacht. Nach einer guten halben Stunde wurde uns allerdings klar, dass wir offenbar NICHT mehr auf dem Weg zum Dorf waren. Glücklicherweise war die Abzweigung, die wir verpasst hatten, nur ein paar hundert Meter entfernt und während uns vorher niemand mehr begegnet war, hatten wir jetzt reichlich „Gegenverkehr“, klares Anzeichen für den richtigen Weg.

Wer hat’s erfunden?

Vor einigen Jahren trat mit Skyr ein neues Milchprodukt seinen Siegeszug in die Mägen der westliche Welt an. Aus der Werbung erfuhren wir, dass wir mit einer ordentlichen Portion des Quarks in der Lage sind, fröhlich im eiskalten Wasser zu baden. Arla-Werbespot 2017. Neu? Ihr habt es schon geahnt: Die Wikinger haben ihn bereits vor mehr als 1000 Jahren erfunden. Da er durch Fermentation hergestellt wird, war er lange haltbar und konnte auch auf Reisen mitgenommen werden. Ein Stein mit dem eingeritzten Ur-Skyr-Rezept als Runen wurde leider bislang nicht gefunden. Wenn Ihr den suchen wollt – hier sind zwei Varianten, wie das Wort SKYR in Runenschrift aussehen könnte.

Skyr als Runenschrift
Skyr als Runenschrift

Auch dem für seine Entdeckung Amerikas berühmten Christoph Columbus sind die Wikinger zuvorgekommen. Als die besten Seefahrer und geniale Schiffsbauer ihrer Zeit, waren sie bereits um 1000 n. Chr. nach Nordamerika vorgestoßen.

Bild Leif Eriksson

Wer war doch gleich Kolumbus? So um 1021 segelte Leif Eriksson nach Nordamerika. Ob er tatsächlich der erste Wikinger dort war, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Doch die zahlreichen Sagen von Wikingerfahrten nach Nordamerika konnten mittlerweile wissenschaftlich bestätigt werden. Holzstücke, die eindeutig in Europa bearbeitet wurden, konnten mit der Radiocarbonmethode auf das Jahr 1021 datiert werden. Normalerweise erlaubt diese Methode keine jahresgenaue Datierung. Im Jahr 992 ereignete sich aber ein massiver Sonnensturm, der Radiokarbonspuren in den Jahresringen der Bäume hinterließ.

Foto: Pixaby, Patricia van den Berg

Sanfte Niederlage durch das CHristentum

Das Ende der Erfolgsgeschichte begann durch die Begegnung mit dem Christentum auf den vielen Reisen der Wikinger. Schon 849 durfte der Erzbischof Ansgar von Hamburg in Haithabu die erste christliche Kirche erbauen. Weniger aus religiöser Überzeugung als aus pragmatischen Erwägungen – das Christentum war mächtig, reich und bot lukrative Handelsbeziehungen – übernahmen sie nach und nach diese Religion. Offiziell wurde das Christentum 965 Staatsreligion in Dänemark – dank Bluetooth. Oder besser: Harald Blauzahn, der Dänemark erstmals einte. Der Glaube an die nordischen Götter, das Ideal, im Kampf zu sterben und nach Walhalla aufzusteigen, verschwand. Und das damit verbundene Wirtschafts- und Sozialsystem passte sich den christlichen Werten an.

Bluetooth-Symbol

Der Name Bluetooth und das dafür verwendete Symbol ist tatsächlich eine Hommage an den Dänenkönig. Das Logo zeigt die Initialen HB in Form der Runen Hagalaz und Berkano.

31. Funkstation Grimeton

Signale in die Welt

Eine Funkanlage als UNESCO Welterbe? Hm, als ich ganz zu Beginn meines Projektes die Welterbestätten überflogen habe, gehörte #Grimeton in die Kategorie „klingt nicht so spannend.“ Inzwischen weiß ich aber: Wo Welterbe draufsteht, ist immer etwas Spannendes drin! Deshalb war ich auch sehr erfreut, als eine Freundin, die ich in Schweden besuchte, vorschlug, sich die Anlage anzuschauen. Mein erstes Auslands-Welterbe! Und natürlich hat es sich wieder bewahrheitet: Staunen & Lernen!

Ein Wald aus Sendemasten

Es ist unübersehbar, dass wir uns der Sendeanlage nähern: Ein Sendemast reiht sich hinter den anderen. Grimeton liegt an der schwedischen Westküste. 2004, 80 Jahre nach ihrer Gründung, wurde die Station zum #Weltkulturerbe ernannt, als „bester Ort, um die Entwicklung der drahtlosen Kommunikation zu erleben und zu verstehen“. Die Älteren unter uns erinnern sich sicher an die Zeit, als wir uns noch mit Morsezeichen verständigten. Ok, zumindest ist uns das Morsen schon mal in dem einen oder anderen Zusammenhang begegnet, vor allem das berühmte SOS: dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz ( · · · — — — · · · ). Es rettete Seefahrer aus der Not, in Krimis machten Opfer, die wahlweise in Verliesen, Schränken, Gruben oder sonstigen ungemütlichen Orten gefangengehalten wurden, damit auf sich aufmerksam. Es gab immer jemanden, der das rhythmische Signal erkannte. Erstmalig wurde SOS 1909 gemorst: Der Passagierdampfer „RMS Slavonia“, war auf Grund gelaufen. Hilfe kam und alle Menschen an Bord wurden gerettet.

Grimeton hat den weltweit einzigen noch funktionierenden Alexanderson-Sender, einen Langwellen-Sender. Genauer: Längstwellen-Sender. Als er 1924 fertiggestellt wurde, war er tatsächlich einer von vielen Sendern zur Übertragung von Textnachrichten, die überall auf der Welt entstanden. Die Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Technologie revolutionierte die Kommunikation. Eine rasante technische Weiterentwicklung führte bald zur Nutzung der effizienteren Kurzwellensender. Doch auch die beiden ursprünglichen RCA-Langwellensender blieben in Betrieb, zum einen als Backup, vor allem aber, weil ihre Eigenschaften die Funkübertragung zu U-Booten unter Wasser ermöglichten, was bis zum Ende des Kalten Krieges genutzt wurde.

So revolutionär wie das Handy

Heute schicken wir ganz selbstverständlich Nachrichten und Bilder um die ganze Welt – in Sekunden. Die Erfindung der Telegrafie war damals ein riesiger Entwicklungssprung. Unvorstellbar für uns, auf Boten angewiesen zu sein, die unsere Nachrichten zu Fuß oder mit dem Pferd transportierten oder sie per Kutsche oder Schiff in fernere Gegenden zu schicken, so dass sie Tage und Monate unterwegs waren. Nun war es möglich, Botschaften schnell über große Entfernungen zu übermitteln. Das verdanken wir dem amerikanischen Erfinder Samuel Morse, der 1837 den elektromagnetischen Telegrafen entwickelte. Damit konnten Nachrichten mittels elektrischer Signale gesendet werden, die auf einem Papierstreifen aufgezeichnet wurden. Wo wir heute einfach den Text in unsere Handys tippen, wurden die Mitteilungen damals in einem Code verschlüsselt, der aus kurzen und langen Signalen bestand – der berühmte Morse-Code. Morse arbeitet anfangs nur mit Zahlen, die dann beim Empfänger in Buchstaben übersetzt wurden. Den Code mit Buchstaben, den wir eigentlich als Morse-Code kennen, entwickelte ein Mitarbeiter von ihm rund ein Jahr später: Alfred Lewis Vail. Gesendet wurden die Nachrichten zu Beginn nur mittels Kabel, es entstanden überall Telegrafenmasten mit den entsprechenden Leitungen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts telegrafierte man dann drahtlos über Funk.

In die Ferne schreiben

Das erste Telegramm aus Grimeton in die USA

Im Ersten Weltkrieg hatte Schweden die Erfahrung gemacht, wie schwer es mit den vorhandenen Technologien war, den Kontakt zur Außenwelt über weite Entfernungen aufrechtzuerhalten. Internationale Telegramme wurden meist per Kabel übermittelt, die anfällig und teuer waren, Funken ging in Schweden nur über kürzere Distanzen. Eine Lösung musste her, vor allem eine transatlantische Verbindung, und die hieß Grimeton. Man entschied sich für das System der Radio Corporation of America (RCA). Dahinter stand der gebürtige Schwede Ernst Alexanderson – das beeinflusste sicher die Entscheidung. Auch der Standort an der Westküste war klar: Hier gab es die kürzeste Entfernung zu den USA und das Signal konnte Norwegen, Dänemark und Schottland umgehen. Am 1. Dezember 1924 wurde erstmals von Grimeton aus über den Atlantik gesendet und die Station wickelte schnell 95 % des schwedischen Telegrammverkehrs in die USA ab. Nach durchschnittlich nur 17 Minuten traf ein normales Telegramm aus Schweden bei RCA in New York ein.

Ich will doch nur spielen…

Moderne Museen haben nichts mehr gemein mit dem langweiligen Vorbeimaschieren an staubigen Vitrinen oder endlosen Bildergalerien. Heute geht es darum, Kunst und Kultur erlebbar zu machen. So ist es auch bei allen bisher besuchten Welterbestätten: Es gibt multimediale Möglichkeiten, sich mit Kunst, Architektur oder wie hier in Grimeton, Technik, zu beschäftigen. So wird die Anlage auch für weniger an Technik Interessierte spannend. Zum Beispiel beim Thema Frequenzen: An dem eingebauten Gerät gibt es Auswahlmöglichkeiten für die verschiedenen Frequenzen, auf denen in unserer Umwelt kommuniziert wird: Von der Fledermaus bis zum Saturn.

Telegrafieren ausprobieren? An einem Pult kann man selbst ein Telegram erfassen, abschicken und anschließend ausdrucken. Allerdings nicht so ganz mühsam mit dem Morseapparat, sondern per Display.

Die Maschinenhalle: Und das alles geht heute per Handy…

Ich bin grundsätzlich von Technik fasziniert und beim Anblick alter Technologien kommt immer das Staunen über die Leistungen der damaligen Zeit hinzu. Hier ist Technik eigentlich viel greifbarer, als in unseren modernen minimalisierten Geräten. Vieles wird sichtbar, was heute im verborgenen Kleinstformat für uns arbeitet.

Ist doch ganz einfach…
Bloß nicht berühren – hier ist der Elektromagnet hinter Gittern

Und wozu ist der riesige Elektromagnet da? Schau’n mer mal:

In der Maschinenhalle stehen auch die modernen Varianten der Sender: deutlich kleiner und lange nicht so dekorativ.

Ziel: Sowjetunion und die anderen Staaten hinter dem Eisernen Vorhang
Ziel: Niederlande, Baujahr 1939
Ziel: Südamerika, Baujahr 1946

Die Größe ist gar nicht so unterschiedlich, wohl aber die Schnelligkeit der Kommunikation: Vom Ericsson Morseapparat aus dem späten 19. Jahrhundert zum transportablen Telefon 1955. Heute versteht man unter einem transportablen Telefon natürlich etwas viel kleineres.

Schon mal eine Sendeanlage bedient? Über den Touchscreen konnten wir das ausprobieren und dabei erfahren, welche Komponenten der Alexanderson-Transmitter hat. Allerdings hatte das Ding wohl ein kleines Problem – ab einem bestimmten Punkt ging es leider nicht mehr weiter. Wir haben noch andere Besucher bei dem verzweifelten Versuch beobachtet, die Maschine virtuell zu starten.

Sauberkeit muss sein: Staub war ein gefährlicher Feind der Anlagen, das passende Gegenmittel wurde täglich eingesetzt.

Da ist noch Luft nach oben: Arbeitsschutz & andere Arbeitskleidung

In der Grimeton-Station gab es strenge Bekleidungsvorschriften: Die Angestellten trugen eine Uniform (links). Zum Schutz gab es den grauen Mantel, Spitzname „Brei-Mantel“. Schutzkleidung für die Arbeiter gab es auch, allerdings anfangs erstmal ohne Gehörschutz, obwohl die Anlage im Betrieb sehr laut war.

Spannende Technik – es hat sich gelohnt!

30. Aachener Dom

1001 Nacht & der Teufel

Ich hatte schon Bilder vom Inneren des Doms gesehen und wußte, dass es spektakulär ist. Aber als ich dann das Gebäude betrat, blieb mir tatsächlich für einen Moment der Mund offenstehen und ein ziemlich lautes „Wow!“ entfuhr mir. Der erste Eindruck war der eines orientalischen Palastes – überall an der Decke war funkelndes Mosaik. Die Pracht stammt allerdings nicht aus der Zeit des Baus um 800, sondern entstand im Zuge der Restaurierungen Anfang des 20. Jahrhunderts.

Aachener Dom Mosaike

Auch sehr beeindruckend: Die riesigen Fenster. Sie haben nicht nur christliche Motive, sondern einige sehen aus wie ein gläserner Vorhang – ein beabsichtigter Effekt, wie ich später bei der Führung erfahre. Wie auch die Geschichte vom Bau des Domes durch den Teufel… Mehr dazu weiter unten.

Fenster Aachener Dom
Teufelspakt & Menschenlist

Wie war das also mit dem Bau des Aachener Doms? Kaiser Karl wollte Aachen zum religiösen Zentrum machen, dazu brauchte es natürlich eine angemessen eindrucksvolle Kirche. Er gab den Stadtoberen einen ordentlichen Batzen Geld, verabschiedete sich 798 für eine Reise durch sein Reich und hinterließ den Auftrag, der Dom solle bis zu seiner Rückkehr fertiggestellt sein. Das war nicht so unmöglich, wie es klingt – schließlich waren Reisen im 8. Jahrhundert keine 14-tägigen Kurztrips, sondern eine jahrelange Beschäftigung. Und was taten des Kaisers Untertanen? Was in allen Jahrhunderten immer wieder passierte, wenn viel Geld im Spiel ist: Sie gaben es für alles mögliche aus, nur nicht für den Bau des Domes. Es kam, wie es kommen musste: Der Kaiser kündigte seine Rückkehr an, natürlich in Erwartung eines prächtigen Kirchenbauwerks. Der Teufel bekam von ihrer Notlage Wind und versprach, den Dom zu bauen, mit der bei Teufeln gängigen Bedingung: Die Seele des ersten Lebewesens, das den Dom betrat, gehört ihm!

Die Aachener akzeptierten den Deal, der Dom war in Rekordzeit fertig. Doch keiner getraute sich, ihn zu betreten, um nicht seine Seele zu verlieren. Aber dann fiel ihnen ein, dass der Teufel nie gesagt hatte, das erste Lebewesen müsse ein Mensch sein. Also nahmen sie ihn beim Wort und trieben einen Wolf durchs Portal. Das entzürnte den Teufel so sehr, dass er gegen das Portal trat – die Stelle sieht man heute noch. Beim wutentbrannten Hinausstürmen klemmte er sich den Finger an dem Wolfskopf ein, der die Tür zierte und dieser Finger steckt bis heute noch darin…

Wolfstür Aachener Dom
Die Bronzetür ist noch original aus der Bauzeit
Wolfstür Aachener Dom
Wenn ein Teufel zutritt, gibt sogar Bronze nach…
Wolfskopf Aachener Dom
Greift man in das Loch, fühlt man noch den teuflichen Finger! (Eigentlich ist es ein Stück des ursprünglichen Öffnungsrings.)
Himmlische Ausblicke

Wie oft in Kirchen, geht der Blick im Aachener Dom nach oben – auch für nichtgläubige Menschen, wenn die Decke so spektakulär gestaltet ist. Hier spielt die Zahl acht eine entscheidende Rolle: Die Kuppel des Pfalzbaus, des Zentralbaus des Doms, ist ein Achteck. Man könne sie vermutlich stundenlang betrachten und immer neue Details entdecken. Mehr zur Zahlensymbolik findet sich auf der Internetseite des Karlsvereines.

Barbarossaleuchter

Habe ich den nicht schon mal gesehen? Fast – im Hildesheimer Dom hängen zwei weitere der insgesamt nur vier bekannten Radleuchter aus romanischer Zeit in Deutschland. Dieser hier heißt Barbarossaleuchter und wurde – Überraschung! – von Kaiser Friedrich I., genannt Barbarossa, im 12.  Jahrhundert gestiftet. Er hängt an einer 27 m langen Kette, für die ein Trick angewandt wurde: Die Kettenglieder verjüngen sich nach unten um ca. 4 mm, wodurch erst der perspektivische Eindruck möglich ist, die Kette sei auf ihrer ganzen Länge gleich dick.

Kaiserthron mit Gesellschaftsspiel
Krönungsthron

Ganz schön schlicht, in Anbetracht der Tatsache, dass hier schon so manches königliche Hinterteil Platz nahm, um sich Krönen zu lassen. Das von Kaiser Karl dem Großen gehörte aber nicht dazu, auch wenn man das lange vermutete. Ein Thron wird erst 936 anlässlich der Krönung von König Otto I. schriftlich erwähnt. Damit startete eine bis 1531 andauernde Tradition, nach der der künftige deutsche König auf diesem Thron gesessen haben musste, um legitimiert zu sein. 30 Könige wurden in Aachen gekrönt.

Hätte man sich für die Gestaltung eines so wichtigen „Einrichtungsgegenstandes“ nicht mehr Mühe geben müssen? Eine gängige Theorie sagt, dass die Steine selbst Reliquien seien, weil sie aus der heiligen Stadt Jerusalem stammten. Auf jeden Fall sie sind ein Beispiel für frühmittelalterliches Recycling, denn die Marmorplatten wurden auf jeden Fall schon mal in anderen Bauwerken verwendet.

Aachener Dom Krönungsthron mit Spielfeld

Skurriles Detail: An der rechten Seite sind die Linien eines antiken Mühle-Spielfeldes zu sehen. Das legt die Vermutung nahe, dass zumindest dieser Stein aus dem alten Rom stammt, denn dort hat man solche Gravuren im Forum Romanum gefunden.

Auf der Internetseite des Aachener Domes gibt es ein sehr eindrucksvolles Foto des Thrones von vorne, das ich so leider nicht machen konnte, ohne mich außen an das Geländer zu hängen…

Eine gute Aussicht hatte der jeweilige Thron-Besitzer auf jeden Fall: nach Osten und auf die umlaufende Galerie mit den dekorativen Bögen, die von nicht-tragenden Säulen geziert werden. Einige der Säulen sind noch original, obwohl sie Opfer eines Raubes wurden: Als die Franzosen Ende des 18. Jahrhundert Aachen besetzten, ließ Napoleon 1794 die Säulen entfernen und nach Paris bringen. Bis 1815 standen sie dort und noch heute befinden sich im Louvre Säulen aus dem Aachener Dom. Den Rücktransport der meisten Säulen haben ein paar nicht überstanden, so dass einige Nachbildungen im Oktogon stehen.

Aachener Dom Blick vom Thron
Reliquien in Gold gehüllt
Aachener Dom Karlsschrein
Karl sein Schrein
Aachener Dom Marienschrein
Marienschrein

Kaiser Karl I., der Erbauer des Domes, starb nur ein Jahr nach der Fertigstellung im Jahr 814 und wurde natürlich in seiner Kirche beigesetzt. Seit Anfang des 12. Jahrhundert werden seine Gebeine standesgemäß in einem goldenen Schrein aufbewahrt. Die anderen Reliquien haben mit Maria zu tun: Das Gewand, in dem Maria Jesus geboren hat, eine Windel des Jesuskindes, das Lendentuch Jesu und das Enthauptungstuch des heiligen Johannes. Inzwischen weiß man, dass sie nicht echt sind, aber die Sammlung war und ist Ziel von Pilgerfahrten.

Puzzle der Zeitgeschichte

Um den achteckigen Zentralbau wurde im Laufe der Jahrhundert immer wieder angebaut. Im 14. Jahrhundert begannen die Pilgerfahrten zu den „Textil-Reliquien“, in dieser Zeit entstand der gotische Chor mit den riesigen Buntglasfenstern. Mit ihrer Höhe von 25,55 Metern gehören sie zu den höchsten gotischen Fenstern in Europa. Die Pracht hat den 2. Weltkrieg nicht überstanden, die Fenster wurden nach dem Krieg erneuert und 1997/98 saniert. Das führte auch zu der auf mich etwas unangenehm wirkenden Tatsache, dass unten an den Fenstern die Namen der Sponsoren-Firmen zu lesen sind.

Das Aussehen veränderte sich weiter durch den Anbau von Kapellen im 14. und 15. Jahrhundert. Durch die unterschiedlichen Baustile sieht der Dom von außen irgendwie etwas unordentlich aus, imposant ist er trotzdem.

Aachener Dom Außenansicht
Aachener Dom Außenansicht
Aachener Dom Außenansicht
Karl, der wirklich große

Eigentlich ist „der Grosse“ ein Ehren-Beiname für Herrscher, die etwas Besonderes geleistet haben (sollen). Dieser war aber auch für seine Zeit wirklich ein Riese: 1,83 – 1,86m! Selbst heutzutage wäre er damit ein stattlicher Mann, im 9. Jahrhundert betrug die Durchschnittsgöße von Männern aber nur 1,67m.

Ein paar Karl-Fakten:

Statue Karl der Große

Foto: Pixabay, Peter Timmerhues, Steinfurt

  • * vermutlich 747, † 814
  • König des Frankenreiches
  • 800 zum ersten europäischen Kaiser seit der Antike gekrönt
  • War vier- oder fünfmal verheiratet + ein paar „Nebenfrauen“
  • 18 legitime Kinder
  • Konnte weder Lesen noch Schreiben
  • Sorgte für eine Bildungsreform in seinem Reich („Karolingische Bildungsreform > Wikipedia)

Sonne, Strand & Dom
Strand vor Aachener Dom

Da hat sich jemand etwas einfallen lassen, um den Summer in the City zu etwas Besonderem zu machen: Zwischen Dom und Rathaus wurde ein riesiger Strand aus 240t feinem Sand aufgeschüttet, sehr zur Freude nicht nur der Kinder. Groß wie ein halbes Fußballfeld, gibt es rund um den XXL-Sandkasten reichlich Platz für Liegestühle und Sonnenschirme für die Erwachsenen.

Ich sattele die Pferde und mache mich auf zum nächsten faszinierenden Welterbe-Erlebnis!

Pferdestatue Aachen

29. Hamburg Speicherstadt, Kontorhausviertel & Chilehaus

Backstein, Wasser und jede Menge Geschichte

Moin! Eine der ersten Lektionen von einer echten Hamburgerin: Wer mit „Moin, Moin“ begrüßt, gilt schon als geschwätzig!

Meine Welterbe-Reise nach Hamburg war dieses Mal etwas anders: Ich war mit fünf Freundinnen unterwegs! Wir haben nach vielen, vielen Jahren „Wir sollten mal…“ endlich den Übergang zu „Wir machen das jetzt!“ geschafft und ein verlängertes Mädelswochenende in Hamburg verbracht. Und ich konnte das Angenehme mit dem noch Angenehmeren verbinden und die Welterbestätten Speicherstadt, Kontorhausviertel und Chilehaus sehen. Ganz besonders toll: Unter uns war eine geborene Hamburgerin und eine, die Jahre dort gelebt hat. Es ging also mit Insiderwissen auf Tour, was uns zu Orten führte, die man als Tourist sonst vielleicht nicht gefunden hätte – und zu unproblematischem Benutzen der öffentlichen Verkehrsmittel.

Hamburg, Wasserschloss

Das Foto vereint so ziemlich alles, was Hamburg ausmacht: Die alten Backsteingebäude der Speicherstadt, natürlich das allgegenwärtige Wasser und hinten blitzt die Elb-Philharmonie als modernes neues Wahrzeichen der Stadt hervor. Das Gebäude in der Mitte ist das „Wasserschloss“ – ein Teekontor und ein Ort für ein Mega-Frühstück. Beweisfoto? Bitte schön… Natürlich gibt es eine große Teekarte, aber wenn eine Sorte darauf nicht zu finden ist, wird man mit einem kleinen Döschen in das angrenzende Teekontor geschickt und kann sich die gewünschte Teeportion dort abholen.

Frühstück im Wasserschloss
Die Speicherstadt: Trotz, Taktik und Triumph

Hamburg hatte seit dem 12. Jahrhundert einen Freihandelsbrief, der der Stadt Zollfreiheit gewährte. Bereits 1833/34 sollten mit der Gründung des Deutschen Zollvereins diese Privilegien aufgehoben werden aber Hamburg widersetzte sich der Aufnahme. Für die Stadtoberen war die Zollfreiheit die Grundlage ihres wirtschaftlichen Erfolges. Als 1871 das Deutsche Kaiserreich gegründet wurde, verfolgte Reichskanzler Otto von Bismark hartnäckig das Ziel, auch Hamburg endlich in den Zollverein zu integrieren. Die Senatoren reagierten mit einer auch in späteren Jahrhunderten erfolgreichen politischen Methode: Aussitzen. Sie stimmten zu und machten – nichts. Weitere Besuche Bismarks folgten und die Senatoren blieben bei der bewährten Methode.

Doch der Reichskanzler ließ sich nicht abschütteln und 1888 stimmten die Hamburger Senatoren dem Beitritt zum Zollverein zu. Aber die Stadt sollte einen Freihafen erhalten, in dem der Handel nicht durch Zölle belastet wurde. Die Speicherstadt entstand auf den ehemaligen Elbinseln Kehrwieder und Wandrahm. Dass die Inseln besiedelt waren, spielte keine Rolle – alle rund 20.000 Bewohner wurden umgesiedelt.

Ein Welterbe Auf Holz gebau
Hamburg, Blick auf Stamm-Fundamente

Große Teile der Hamburger Altstadt – darunter die komplette Speicherstadt – stehen tatsächlich auf hölzernen Fundamenten. Allein für die Speicherstadt sollen rund 3,5 Millionen Stämme verwendet worden sein. In früheren Jahrhunderten war das eine übliche Methode, Gebäude in sumpfigen Gebieten zu errichten. Wieso fault das nicht und alles kracht zusammen? Holz fault nicht, wenn es luftdicht abgeschlossen ist – und das bewirkt der besondere Hamburger Marschboden. Ich habe davon schon gehört, denn in meiner Heimatstadt Mainz steht zum Beispiel auch der Dom auf geschätzten 1.500-3.000 Pfählen.

Allerdings: Klimatische und geologische Veränderungen verursachen nicht nur in Hamburg Probleme: Kommt das Holz durch sinkende Grundwasserspiegel mit Sauerstoff in Berührung, beginnt es zu faulen. Eine Gefahr, mit der beispielsweise auch Venedig und Amsterdam konfrontiert sind.

Piraten-Legenden & Deko-Pracht
Kirche St. Katharinen mit Brücke und Pflanze im Vordergrund

Ach, es gibt einfach nichts schöneres als Legenden! Eine davon hat mit der Katherinenkirche zu tun. Über das Kreuz auf dem Kirchturm erzählt man sich, dass es aus dem Goldschatz des Piraten Störtebeker gegossen wurde. Dessen Karriere als Räuber endete 1401, als er auf dem Hamburger Grasbrook seinen Kopf verlor.

Störtebeker-Legende Nr. 2: Der Teufelspakt. Der Pirat rang dem Hamburger Bürgermeister das Versprechen ab, dass diejenigen seiner Leute, an denen er nach!! seiner Enthauptung noch vorbeilaufen konnte, begnadigt werden. Er schaffte elf, bevor er durch ein Foul des Henkers stolperte und fiel – der warf ihm den Richtblock vor die Füße. Die feinen Ratsherren fühlten sich aber nicht an ihr Versprechen gebunden und alle 73 Piraten folgten Störtebeker auf den Richtblock.

Glasdeko an Backsteinwand
Pimp your Backstein: Hier wurde ein Band aus unterschiedlichen Glaselementen in die Fassade eingearbeitet.
Dekorativer Torbogen in der Speicherstadt
Schöne Ein- und Ausblicke gibt es reichlich in der Speicherstadt.

Überall an den Häusern sind Verzierungen und Kunstwerke zu entdecken, die Bezug auf die kaufmännische Geschichte Hamburgs nehmen. Hier ist es eine aus einer Serie von drei Statuen von Hafenarbeitern.

Hamburg Hausfassade mit Hafenarbeiter-Statue
Das CHilehaus – eigentlich sehr schön…

… aber bei unserem Besuch umzingelt von Baustellen. Und auch noch geschlossen, so dass wir leider das Innere nicht besichtigen konnten. Was sich gelohnt hätte, wenn ich mir die Bilder aus besseren Zeiten von Pixabay so anschaue. Aber ich war sicher nicht zum letzten Mal in Hamburg…

Chilehaus
Chilehaus Baustelle
Chilehaus Pixabay
Foto: Pixabay, WorldInMyEyes
Chilehaus Pixabay
Foto: Pixabay, WorldInMyEyes
Chilehaus Pixabay
Foto: Pixabay, Wolfgang Weiser
Welche Pflanze braucht wohl solche Rankgitter?
Hamburg Kesselhaus

Man hätte natürlich einfach die alten Schornsteine des Kesselhauses wieder aufbauen können. Aber die Architekten, die 1999-2000 das Gebäude restaurierten, entschieden sich für eine originellere und sicher spektakulärere Lösung: Diese Gitterkonstruktionen deuten die Silhouette der ehemaligen Türme an. Im Kesselhaus wurde bis zum Zweiten Weltkrieg mit Dampfmaschinen der Strom für die Speicherstadt erzeugt.

Heute befindet sich dort übrigens das Informationszentum für das größte innerstädtische Bauprojekt Europas: Die Hamburger Hafencity.

Funfact (außer für die Betroffenen): Zu dem Gelände, auf dem die Hafencity erbaut wurde, gehört auch der Grasbrook, auf dem Störtebeker und seine Piratenkumpels einst ihre Köpfe verloren.

Krähennester und die Wanderung der Uhrzeiger
Hamburg Häuserzeile

Unser Stadtführer verriet uns, wie man originiale Hausfassaden von rekonstruierten unterscheidet. Auf dem Foto sieht man links die drei grünen „Krähennester“, die als Schutz der Winden und Lastenkräne dienten. Sind die Winden noch vorhanden, haben die Fassaden den Krieg unbeschadet überstanden. Fehlen sie, hat man die Gebäude zwar sehr sorgfältig rekonstruiert, dieses Detail aber bewußt ausgelassen.

Hamburg, Blick auf Michel

Hier ist der Michel – mit bürgerlichem Namen: „Sankt Michaelis“ -, das alte Wahrzeichen Hamburgs, nur aus der Ferne zu sehen, für die Nahaufnahme musste ich Pixabay bemühen, das entsprechende eigene Foto habe ich verpennt. Die Uhrzeit konnte man auch aus dieser Entfernung ablesen, denn das Zifferblatt hat einen Durchmesser von acht Metern! Entsprechend haben auch die Zeiger zu tun: Der Minutenzeiger bewegt sich um 35 cm, um die nächste Minute anzugeben, ´´´im Jahr kommen da mal eben 240 km Weg zusammen…

Hamburg Michel
Foto: Pixabay, Klaus Adamsberger
(K)ein Rathaus- für die Speicherstadt
Hamburg Speicherstadt-Rathaus

Es ist nicht wirklich ein Rathaus aber entschieden wird hier trotzdem jede Menge. Der Name „Speicherstadt-Rathaus“ ist also mehr seiner Bedeutung geschuldet, denn hier ist der Sitz der Hamburger Hafen und Logistik AG. Das Gebäude aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts hat den Krieg unbeschadet überstanden und wurde zum 100. Geburtstag komplett saniert. Die Hamburger Freihafen-Lagerhaus-Gesellschaft, wie das Unternehmen früher hieß, hat sich damals das Schätzchen übrigens einiges kosten lassen: rund 600.000 Reichsmark. ChatGPT rechnet das entsprechend der Kaufkraft auf einen heutigen Wert zwischen 4 – 45 Mio Euro um…

(Noch) Kein Weltkulturerbe: Die ELb-Philharmonie
Hamburg Elb-Philharmonie
Hamburg Elb-Philharmonie vom Wasser
Touri-Tipp: Statt Hafenrundfahrt buchen, mit dem öffentlichen Verkehrsmittel Wassertaxi fahren!
Hamburg Elb-Philharmonie Rolltreppe
Die einzige gebogene Rolltreppe der Welt – und mit 82 m schon fast ein eigener Ausflug…

Die Elb-Philharmonie: umstritten, sauteuer – und einfach faszinierend! Sie gehört nicht zum Weltkulturerbe, aber wenn man erfährt, was da an architektonischer Raffinesse, unglaublichen Ideen (auch: unglaublich teuren) und durchdachter, innovativer Gestaltung drinsteckt, kommt einem schon der Gedanke: „…noch nicht“ Es lohnt sich wirklich, darüber mehr zu erfahren, auch wenn man immer wieder den Kopft schüttelt über die exzessive Detailverliebtheit. Mehr dazu.

Für ganz müde: Die große Kaffeebohne
Hamburg Große Kaffeebohne

Wer hätte das gedacht: Eine Kaffeebohne kann auch Kunst sein! Die Große Kaffeebohne ist ein Kunstwerk von Lotte Ranft. Natürlich steht sie auf der Coffee Plaza in der HafenCity. Mit rund fünf Meter ist die Bronzeplastik ein unübersehbares Symbol für die Bedeutung des Kaffees für die Hansestadt. Im 17. und 18. Jahrhundert war Hamburg einer der wichtigsten Kaffee-Transporthäfen Europas. In den Reliefs und Inschriften geht es entsprechend um Produktion, Verarbeitung und den Genuss des braunen Muntermachers. Kaffee gehört bis heute zu den wichtigsten Handelswaren in der Speicherstadt.

Funfact: Die beiden Kaffeeröstereien in der Speicherstadt, die man auch besichtigen kann, sind eigentlich nur aus touristischen Gründen dort. Die „echten“ Röstereien hat man wohlweislich außerhalb der Stadt angesiedelt, denn bei dem Herstellungsprozess entstehen durchaus keine wohlriechende Kaffeedüfte…

Hitzepause mit Fernblick

Diese Woche pausiert die Reiselust – es ist einfach zu heiß! Auch wenn ich mich auf dem Weg zum UNESCO-Ziel in klimatisierten Bahnen oder meinem Auto fortbewegen kann, irgendwann kommt unvermeidlich der Moment des Aussteigens und Betreten des Backofens. Stattdessen ein Blick in die Zukunft.

Haken dran!

Dieses Jahr werden alle Ziele in Deutschland liegen. Insgesamt hat Deutschland 54 UNESCO Welterbestätten, davon sind sieben Gärten und Landschaften. 21 habe ich schon gesehen, 10 davon in den letzten Monaten im Rahmen meiner Welterbe-Touren. Eines hat sich auf jeden Fall bestätigt: Besucht man eine UNESCO Welterbestätte, gibt es immer etwas besonderes zu sehen! Es ist eine abenteuerliche Reise zu den Ideen der Baumeister der Vergangenheit, die zu ihrer Zeit Spektakuläres geschaffen haben, das uns auch heute noch begeistern kann oder sogar berühren. Es ist manchmal eine Sache des Geschmackes – wie in der barocken Residenz in Würzburg – und das Erlebnis hat nicht unbedingt etwas mit Gefallen zu tun, sondern mit Bewunderung für die Ideen und Fähigkeiten der Schöpfer.

Karte: UNESCO Welterbestätten Deutschland e.V.
Vorfreude auf exotischere Ziele

Ok – so manches, was ich bisher gesehen habe, ist irgendwie auch exotisch. Mir sträuben sich die Haare bei der Vorstellung, in einem der Gold- und Stuck-überladenenen Zimmern der Würzburger Residenz zu leben. Oder in einem gigantischen Industriekomplex wie der Völklinger Hütte zu arbeiten. Aber die beiden Hauptziele für 2026 sind definitv exotisch: Marokko und Japan! Beide sind selbst für einen (Ex-)Reisemuffel wie mich schon lange auf meiner Will-ich-hin-Liste. Marokko, weil ich die Farben und die Architektur sehr reizvoll finde. So reizvoll, dass ich vor zwei Jahren in meinem Garten einen orientalisch angehauchten Sitzplatz gebaut habe.

Und Japan wegen der Gärten. Die Gartenarchitektur, in der alles eine Bedeutung hat, faszinieren mich schon seit Jahrzehnten. Ich habe bestimmt zwei Dutzend Bücher zu Japangärten zusammengekauft und hatte immer geplant, einen kleinen Teil meines Gartens japanisch zu gestalten. Problem: Das kann ich nicht alleine machen, durch die Hanglage sind richtige Bauarbeiten erforderlich. Mein Versuch, einen Gartenbauer dafür zu finden, scheiterte. So ganz aufgegeben ist die Idee noch nicht, aber aktuell außerhalb des Machbaren.

Woran erkennt man, dass der Landschaftsarchitekt sich nicht wirklich mit japanischen Gärten auskennt? Er baut einen geraden Weg mit ein! Niemand würde das in Japan tun: geschwungene Wege sind der Schutz gegen böse Geister – die können nämlich nur gradeaus gehen.

Japanischer Garten in den Gärten der Welt, Berlin-Marzahn

Mit der Reise zu den UNESCO Welterbestätten in Japan – davon gibt es 24 – kann ich dann auch die Besichtigung einiger Gärten verbinden. Das fällt wirklich in die Kategorie „Ein Traum geht in Erfüllung“.

Was sonst noch geschehen wird

Garniert werden sollen diese beiden großen Reisen noch mit kleineren. Vermutlich wird es noch einige Ziele in Deutschland geben, die ich dieses Jahr nicht mehr schaffe, außerdem liegt England im wörtlichen wie übertragenen Sinn nahe. Vielleicht auch wieder in Verbindung mit Gartenkultur: Zum einen wollte ich schon immer mal auf die Chelsea Flower Show und zum anderen möchte ich das größte viktorianischen Gewächshaus der Welt sehen: In den Royal Botanic Gardens in Kew.

Großbritannien hat 35 Welterbestätten, darunter das berühmte Stonehenge. Das werden also mehrere Reisen werden, um sie alle kennenzulernen. Ich werde dabei sicher auch meine leichte Klaustrophobie auf die Probe stellen und mit der Bahn durch den Eurotunnel fahren. Kürzlich habe ich einen Bericht gehört, nachdem die Bahn eine direkte Verbindung von Frankfurt nach London plant – in nur fünf Stunden. Die Verwirklichung dürfte allerdings noch ein paar Jahre dauern, aber ich gehe davon aus, dass ich das irgendwann auch nutzen werde.

Jede Menge Grund zur Vorfreude, würde ich sagen!

28. Die Altstadt von Wismar

SOKO, Segelschiffe & seltsame Straßennamen

Wismar! Kenne ich seit Jahrzehnten sehr gut – allerdings nur aus dem Fernsehen durch meine Lieblings-Krimiserie #SOKO Wismar. Trotzdem habe ich es bisher nicht geschafft, die Stadt zu besuchen. Welterbe-Tour sei Dank war es endlich soweit. Ich habe die Reise auf den Termin des Hafenfestes gelegt und erst einige Tage zuvor ein besonderes Angebot mit dem Potential zur Traumerfüllung gesehen: Ein Törn auf einem alten Segelschiff! Steht seit rund 20 Jahren auf meiner Will-ich-unbedingt-mal-machen-Liste. Und war leider ausgebucht… Optimist der ich bin, ließ ich mich auf die Warteliste setzen – und hatte Glück!

Das Welterbe-Haus in Wismar ist auch schon eine Sehenswürdigkeit: Ein saniertes, sehr altes Gebäude mit einem Glasanbau und sehr originell gestaltem Garten. Das dortige Modell der Stadt inklusive Kanäle nutzen auch nicht-menschliche Touristen.

Welterbe-Haus Wismar
Neulich am Welterbe-Haus in Wismar: Kanal-Baden
Tag 1 – Erste Erkundung & Hafenfest

Nachdem die Bahn mich pünktlich! am frühen Nachmittag nach Wismar gebracht hat, war ich schon auf dem kurzen Weg vom Bahnhof zum Hotel (#Hansehouse – sehr gemütlich und ideal in der Altstadt gelegen) bezaubert von der Stadt: hübsche alte Häuser, Kanäle, Kopfsteinpflaster, beindruckende Kirche – und das alles auf 500m! Auf dem nachmittäglichen Spaziergang sah ich einen hohen, dekorativen Backsteinturm und wollte wissen, was das war. Es entpuppte sich als ein Wasserturm, dessen grüne Verzierungen den roten Backstein so richtig schön zur Geltung bringen.

Wasserturm Wismar

Eigentlichens Ziel für den Nachmittagsausflug war aber das Hafenfest, also folgte ich den entsprechenden Hinweisschildern und begegnete dabei einem hübschen Park und dem echten Polizeipräsidium. Schon weithin sichtbar: Riesenrad und Riesenschiff – der Hafen. Das sensationelle Sommerwetter hatte jede Menge Besucher zum Hafenfest gelockt und das Anforderungsprofil eines gelungenen Stadtfestes wurde voll erfüllt: Fahrgeschäfte, Imbissstände für jeden Geschmack und Musik von Schlager bis Disco.

Leinen los!

Ein langgehegter Traum: Auf einem großen Segelschiff mitfahren! Es war toll – und ein wenig enttäuschend. Die #Albatros ist optisch ein Traum, alles aus Holz und seit über 80 Jahren im Dienst. Hier geht das Segelsetzen noch komplett per Hand und man erlebt, wie wichtig ein eingespieltes Team ist, um diese Schwerstarbeit hinzukriegen. Zusammen mit 19 anderen Segelfans von sechs Jahren aufwärts durfte ich das alles begeistert und beeindruckt beobachten.

Segelschiff Albatros im Hafen Wismar

Apropos junge Segler: Ich hatte angeregte Gespräche mit einer 8-jährigen Segelexpertin. Lieblingssatz: „Vor einem Jahr, als ich noch nicht so viel wußte.“ Anne hat vor einem Jahr mit dem Segeln angefangen und ist absolut begeistert. Sie plant ihr ganzes Leben schon rund ums Segeln, mit einem Hausboot als Wohnsitz. Zauberhaft!

Und wo war jetzt die Enttäuschung? Ich bin ja schon ein paar mal gesegelt, aber natürlich auf kleinen Yachten. Und da erlebt man den Wind sehr unmittelbar in der Bewegung des Bootes, was für mich den Spaß am Segeln ausmacht. Bei der großen Albatros waren diese Bewegungen praktisch nicht zu spüren. Trotzdem: Ein richtig schöner Tag auf einem richtig schönen Schiff!

Im Wismarer Hafen lagen auch noch andere alte Segelschiffe, einem davon, der Wissemar, begegneten wir auch. Das auffällige Segel veranlasste meine kleine Segelexpertin zu der Frage, ob es hier Piraten gäbe. Ich beruhigte sie, kurz voher war ein Schiff der Küstenwache an uns vorbeigekommen, da konnte doch nichts passieren!

Segelschiff Wissemar
Die Wissemar – Piraten an Bord?
SChöne Geschichte und Geschichten – die Wismarer Altstadt

Nach dieser Welterbe-Tour steht Wismar auf der Liste meiner Lieblingsstädte ganz oben. Die schöne Architektur, die spannende Geschichte der Stadt – Wismar war zum Beispiel von 1648 bis 1903 in schwedischem Besitz -, natürlich das Meer und auch die vielen freundlichen Menschen, die ich getroffen habe.

Die Stadt wurde 1259 Mitglied der Hanse, was auch einer der Gründe ist, warum Wismar zusammen mit Stralsund als Beispiel einer vollständig erhaltenen mittelalterlichen Seehandelsstadt Weltkulturerbe wurde. Eines sind die Altstadtstraßen auf jeden Fall nicht: langweilig. Trotz des einheitlichen architektonischen Bildes, auf das auch bei Neubauten, vor allem aber bei der Restaurierung alter Häuser Wert gelegt wird, sind die Gebäude abwechslungsreich in ihren Farben und Details.

Straße mit schönen Giebelhäusern in Wismar

Den Marktplatz ziert ein Wasserbrunnen, die „Wismarer Wasserkunst„. Erbaut Ende des 16. Jahrhunderts, ist er ein Zeichen für den Beginn einer organisierten Versorgung der Bevölkerung mit sauberen Wasser. Dafür legten sich die Stadtoberen ganz schön ins Zeug: Das Wasser wurde aus einer Quelle in sechs Kilometer Entfernung über Holzrohre in die Stadt gebracht und von der „Wasserkunst“ aus weitergeleitet.

Brunnen "Wasserkunst Wismar"

Am Marktplatz steht auch das mit dem Baujahr 1380 älteste Haus der Stadt, passender Name „Alter Schwede„. Diese Architektur mit den dekorativen Giebeln lässt so manchen modernen Bau ganz schön langweilig aussehen.

Ältestes Haus Wismars: "Alter Schwede"
Straßenname der besonderen Art

Ganz in der Nähe des „Alter Schwede“ findet man ein blaues Straßenschild mit einem alten Straßennamen. Oft geklaut, deshalb nur noch aufgemalt.

Straßenschild "Tittentasterstraße"

Der Name ist tatsächlich gar nicht so anrüchig, wie er klingt: Die bezeichnete Straße war nur ein schmaler Durchgang. Zwei Personen konnten nicht aneinander vorbeigehen, ohne die Anatomie des anderen etwas näher kennenzulernen. „Titten“ hatte übrigens gar nicht die abwertende Bedeutung wie heute – das Wort bezeichnete im Mittelalter sowohl die weibliche, als auch die männliche Brust.

Wismars schönste Farbe: Backstein-Rot

Nicht nur aufgrund der SOKO Wismar-Folgen verbinde ich mit der Stadt vor allem die beeindruckenden Backstein-Kirchen. Im Rahmen der Führung sahen wir St. Marien aus dem 14. Jahrhundert, die im 2. Weltkrieg stark beschädigt und 1960 gesprengt wurde. Die Ruinen wurden abgerissen, der Turm blieb stehen, weil man bei einem Abriss um die eng dahinter stehenden Häuser fürchtete. Und er ist mit seiner 80 m Höhe ein Seezeichen. Der Platz davor wurde ein Parkplatz. Im Jahr 2001 wurden die Fundamente der Kirche wieder ausgegraben und die Standorte der mächtigen Säulen, die das Kirchenschiff getragen haben, durch originalgetreue Sockel gekennzeichnet. Zwischen ihnen schmücken Kunstwerke den Platz.

Mangels Drohne in meinem Rucksack (Hätte ich tatsächlich schon öfters gerne gehabt!) bin ich auf eine Mauer geklettert, um den Platz besser fotografieren zu können. Hat sich gelohnt.

Kirche St. Marien Wismar

Kirche Nr. 2 – St. Georgen – gibt es noch in einem Stück und wir konnten sie von Innen sehen. Sie ist sogar noch älter: aus dem 13. Jahrhundert. Das Gebäude wird mittlerweile als Kulturkirche genutzt und hat auch eine bewegte Geschichte. Im Krieg stark beschädigt, stürzte 1990 bei einem Orkan der Giebel ein. Dabei wurden auch benachbarte Häuser von Trümmern getroffen. Noch vor der Feuerwehr eilten Nachbarn herbei, um ungeachtet des Unwetters und der Gefahr eines weiteren Einsturzes nach Opfern zu suchen und zu helfen. Aus dem Unglück entstand aber auch Gutes: Der Wiederaufbau wurde beschlossen und umgehend in Angriff genommen. 2010 wurde die Kirche wiedereröffnet.

St. Georgen Wismar nach dem Dacheinsturz
St. Georgen nach dem Dacheinsturz
St. Georgen Wismar
Foto: Wikipedia – Krzysztof Golik
Innenansicht St. Georgen
Die spektakuläre Gewölbedecke von St. Georgen

(Fun) fact: An die Deckenrekonstruktion hatte sich zunächst keiner rangetraut. Die Firma, die den Auftrag schließlich übernahm, setzte für die Arbeiten nur junge, unverheiratete Männer ein…

Untote Erinnerungen

Die älteren unter uns erinnern sich noch: Wir saßen 1922 im Kino und sahen „Nosferatu – eine Symphonie des Grauens“, den ersten Vampirfilm. Er wurde zum größten Teil in Wismar gedreht und überall in der Stadt erinnern Bodenplatten an die Drehorte. Einmal gruseln? Bitte schön: Link YouTube

Nosferatu Straßenmarkierungen
SOKO Wismar – Realität und schönes Fake

Das hübsche Backsteingebäude, das in der Serie als Polizeipräsidium herhält, ist das Heilig-Geist-Hospital in der Straße Neustadt. Eigentlich wollte ich auch eine Führung zu den Drehorten der Serie machen, die war aber leider schon ausgebucht. Das echte Polizeipräsidium ist übrigens auch ziemlich beeindruckend.

Polizeipräsidium SOKO-Wismar
Noch eine Geschichte zur Geschichte: Karstadt

Es gab tatsächlich einen Herrn Karstadt und der hat sein Stammhaus in Wismar gegründet. Das war allerdings noch kein Kaufhaus mit einem breiten Angebot unterschiedlichster Waren, sondern, wie 1881 üblich, ein Geschäft mit Artikeln einer bestimmten Gattung, in diesem Fall Kleidung. Zu dieser Zeit gab es ein erstaunlich soziales Konzept, was Preise angeht: Sie richteten sich nach dem Einkommen der Kunden. Wer mehr hatte, zahlte mehr, Arme kauften billiger. Insofern war die Innovation, die Rudolph Karstadt einführte, eigentlich gar nicht so sozial: Festpreise! Und mit noch einer Tradition brach er – es wurde nicht mehr angeschrieben, sondern die Ware gab es nur gegen sofortige Bezahlung. Man sagte ihm den schnellen Ruin voraus. Doch weit gefehlt – das Konzept war von Anfang an eine Erfolgsgeschichte. Das erste Karstadt-Kaufhaus im heutigen Sinn entstand dann 1884 in Lübeck.

Karstadt Wismar

27. Das Wasser-Managementsystem Augsburg I

Kaiser, Götter, ein Fahrrad im Wasser und sehr clevere Technik

Klingt wie eine neuzeitliche Erfindung, oder? Die Bezeichnung stammt sicherlich aus unserer Zeit. In Augsburg haben aber clevere Köpfe bereits im Mittelalter ein sehr fortschrittliches Wasserversorgunssystem aufgebaut. Es gibt opulente Brunnen, Kanäle – insgesamt 150 Wasserläufe – , ein Aquädukt, ein Wasserrad, zehn Wasserkraftwerke, die fünf ältesten erhaltenen Wassertürme Europas und vieles mehr. Bei der Führung erfahren wir, warum Augsburg trotz dreier Flüsse, die durch die Stadt fließen, keine Angst vor Hochwasser hat und wie eine kleine, wassergetriebene Turbine ein vierstöckiges Bürogebäude komplett mit Strom versorgt.

Und warum die I im Titel? Was ich leider nicht gesehen habe, ist das, was mich am meisten interessiert hat: die Technik in den Wassertürmen und den Wasserwerken. Also werde ich Augsburg ein zweites mal besuchen und dann die entsprechenden Touren in die Welt der Archimedischen Schrauben und Turbinen buchen.

Wasserrad – alt
Wasserrad – neu
Das wasser muss nach oben

Aufgrund der Lage von Augsburg auf einer Anhöhe konnte das Wasser nicht einfach in die Stadt geleitet werden, es musste hochgepumpt werden. Dafür wurden die Wassertürme gebaut. Der Wasserdruck ermöglichte es dann, das begehrte Nass über die Zuleitungen zu den Bürgern der Stadt zu bringen.

Archimedische Schrauben. Bis zum 17. Jahrhundert wurde das Wasser mit sogenannten Archimedischen Schrauben in die Wassertürme gepumpt. Eine beeindruckende Konstruktion, vor allem, wenn man die Zeit bedenkt: Ein spiralförmige Schraube ist um eine Achse gewickelt und leicht geneigt gelagert. In Augsburg wurden sie durch Wasserkraft angetrieben. Das untere Ende taucht in das Wasserreservoir und befördert das Wasser über die Spirale nach oben. Die Konstruktion habt Ihr vielleicht sogar schon mal in anderer Umgebung gesehen: Auf Spielplätzen.

Aus der Katastrophe entsteht die Innovation

Dass Wasser krank machen kann, sehen wir auch heute. Wo den Menschen kein sauberes Wasser zur Verfügung steht, breiten sich tödliche Krankheiten aus. In Augsburg wurde wie viele ander Städte auch im Mittelalter von Seuchen geplagt. Der Stadtrat von Augsburg beschloss den Bau eines öffentlichen Wasserversorungssystems. Das Entscheidende: Es gab nun getrennte Kanalsysteme für Trinkwasser, Brauchwasser und Abwasser.

Mit Wasserkraft zur Wirtschaftsmacht

Im Mittelalter wird Augsburg zum Zentrum der Papier- und Textilindustrie. Dank der cleveren Nutzung der Wasserkraft, um Mühlen, Hammer- und Pumpwerke anzutreiben. Im 19. Jahrhundert wird das Wasser im wahrsten Sinne des Wortes zum Motor der Industriealisierung – Wasserkraftwerke liefern die Energie, die für den Maschinen- und Turbinenbau benötigt wird. Als unsere Führerin das erzählt, wird mir eine Verbindung in meine Kindheit bewußt: In meiner Heimatstadt Gustavsburg war die MAN – die Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg – der größte Arbeitgeber. Die MAN, damals noch Maschinenfabrik Augsburg, begegnet mir auch hier, als Hersteller der Maschinen für die Wasserwerke.

Kaiser & Götter

Zur Stadt mit dem vielen Wasser gehören natürlich auch Brunnen. Viele Brunnen. Die drei Prunkbrunnen werden von VIPs bewacht: Auf dem Marktplatz vor dem Rathaus steht der Augustusbrunnen. Der Kaiser trohnt oben, am Beckenrand tummeln sich vier dekorative Gestalten, die für vier Augsburger Flüsse stehen.

Flussgott mit Floßruder für den Lech
Lässiger Gesell mit Fischernetz Wertach
Göttin mit ein Viertel Mühlrad für den Singold
Dame mit Amphore für den Brunnenbach

Göttlich wird’s auch bei den beiden anderen Brunnen: Hier trohnen Herkules und Merkur bei der Arbeit auf den Brunnen. Herkules holt mit der Flammenkeule zum vernichtenden Schlag gegen die Hydra aus. Merkur gibt sich dagegen ganz friedlich: Er hat einen niedlichen Amor zu Füßen.

Fun fact I: Schaut Euch mal den rechten Flügel des Amors an. Die ursprüngliche Gestaltung war dem Auftraggeber zu nackt, also musste Amor seinen Flügel zur Verfügung stellen, um das ganze etwas schicklicher zu machen.

Fun fact II: Merkur ist der Gott des Handels. Und der Diebe. Interessanter Interessenkonflikt oder naheliegende Verwandtschaft?

Wasserwerk am roten tor

Nicht alles ist hier aus dem Mittelalter, aber begonnen wurde das Ensemble bereits 1430. Wir sehen drei Wassertürme, zwei Brunnenmeisterhäuser und ein Aquädukt (ein Wort, das ich konsequent falsch ausspreche: Äquadukt…). Wobei… auf unserer Tour ist das Aquädukt hinter jeder Menge Gebüsch verborgen, ich habe deshalb fremd gestöbert und ein Bild mit unbeeinträchtigten Blick gefunden.

Suchbild: Wo ist das Aquädukt?
Unverhüllt – Bild Neitram für Wikipedia
Der Brunnenmeister wohnte natürlich am Wasser
(Ab-)Wasserversorgung der bayrischen Art

Sonst für mich eher ein Synonym für einen echt ekligen Ort, ist diese Werbung so lustig, dass man sich fast ein Toilettenhäuschen im Garten wünscht. Und als „Kini“ dort auf dem stillen Örtchen trohnt…

Kindheitserinnerung: Die Augsburger Puppenkiste

Eng verknüpft mit dem Beginn des Fernseh-Zeitalters in meiner Kindheit. Meine Eltern waren ziemlich streng, was das Fernsehschauen angeht: Sandmännchen und Augsburger Puppenkiste waren zunächst das höchste der Gefühle.

26. Hildesheim: Dom und Michaeliskirche

Magische Zahlen, Goldschätze und beeindruckende Kirchen

Zu Beginn ein Geheimtipp für bequemes Reisen mit der Bahn: Fahrt zum richtigen Bahnhof! Ich stand am frühen Samstagmorgen am Frankfurter Hauptbahnhof und musste feststellen, das Lesen doch hilfreich sein kann. Er fuhr nämlich von Frankfurt Süd ab… Dann wurde es spannend: Es gab einen anderen ICE, der meinen ursprünglichen in Fulda noch einholen konnte! Wenn die Bahn pünktlich war. Was soll ich sagen: Mein Verfolger-Zug kam sogar drei Minuten zu früh an und ich war wieder in der Spur.

In #Hildesheim fand am 1. Juni die zentrale Veranstaltung zum #UNESCO #Welterbetag statt. Klar, dass ich mir diesen Tag für meinen Besuch aussuchte. Erstes Gefühl, als ich gegen 11 Uhr vor dem berühmten #Mariendom eintraf: Mitleid mit den Veranstaltern. Kaum jemand zu sehen, nichts los an den Ständen. Das gleiche Bild vor der #Michaeliskirche, wo andere Welterbestätten ihre Stände aufgebaut hatten. Glücklicherweise sollte das eine Stunde später schon ganz anders aussehen!

Bild von JohniBoni auf Pixabay – bei meinem waren gerade ein paar sehr dunkle Wolken unterwegs
Die Magie der Zahlen – ganz christlich umgesetzt

Meine gebuchte Führung begann in St. Michaelis. Architektonisch könnte der Gegensatz zur prunkvollen, goldgespickten überladenen Residenz in Würzburg letzte Woche nicht größer sein. Kein Wunder: Wir stehen in einem rund 1.000 Jahre alten romanischen Gebäude. Wie wir später erfahren, sind noch rund 40% der originalen Bausubstanz aus dieser Zeit erhalten, die Kirche wurde im zweiten Weltkrieg stark beschädigt. Die Architektur strahlt eine große Ruhe aus, die mich sehr anspricht. Alles ist auf Harmonie ausgerichtet und das steht einer Kirche als Ort der Besinnung sehr gut.

Bernward war offenbar ein Perfektionist und begeistert von Zahlensymbolik: Der Grundriss besteht aus 3 x 3 Quadraten (die Drei steht für die göttliche Dreieinigkeit) Es gibt neun Altäre, acht davon auf den Emporen, die wiederum zwölf Bögen haben.

Das Mittelschiff wird von zwölf Säulen getragen – Bezug auf die zwölf Apostel. Zwei davon sind noch komplett Originale.

Diese beiden haben seit 1000 Jahren eine tragende Aufgabe

Gerade diese einfache, gradlinige Gestaltung setzt die spektakuläre Decke perfekt in Szene. Sie stammt allerdings aus dem 13. Jahrhundert. Sie zeigt in überaus dekorativer Malerei unter anderem den Stammbaum Christi, die Propheten und die Paradiesflüsse. Damit der interessierte Besucher keine Genickstarre bekommt beim Betrachten der vielen Details, ist im Gang ein großer vertikaler Spiegel platziert, in dem man die Decke bequem studieren kann.

Bei der Führung dreht sich alles um Bischof Bernward, der an dieser Stelle ein Benediktinerkloster gründete. Wie wir schon im Kloster Lorsch gelernt hatten, helfen Reliquien sehr, ein Kloster bekannt zu machen. Auch Bernward hatte ein Splitter aus dem Kreuz Jesu zu seiner Bischofsweihe bekommen. Das #Bernward-Kreuz, in dem dieser Splitter aufbewahrt wird, sehen wir später noch im Dommuseum.

Ich hatte im Kopf, irgendjemand hätte mal alle angeblichen Kreuzsplitter zusammengerechnet und wäre darauf gekommen, dass diese Menge für drei Kreuze ausgereicht hätte. Fake-News! Laut Internet geht diese Aussage wahlweise sogar auf Luther oder Calvin zurück. Mittlerweile ist das wohl wissenschaftlich untersucht worden und man konnte die Reliquien nur auf einen Bruchteil der vermuteten Kreuz-Masse addieren.

Die Kirche ist übrigens interessanterweise sowohl evangelisch – die eigentliche Kirche -, als auch katholisch: Die Krypta, in der auch Bischof Bernward begraben liegt.

Die Krypta mit Bernwards Sarkophag
Die XXXL-Varianten: Tür, Leuchter und sehr, sehr viel Gold

Wir betreten den #Marien-Dom durch einen Seiteneingang, um das erste XXXL-Kunstwerk in seiner beeindruckenden Pracht zu bewundern: Die Bernward-Tür. Erstes Superlativ: Sie ist 4,72m hoch. Das zweite: Die beiden Flügel wurden jeweils aus einem Stück aus Bronze gegossen – im Jahr 1015 eine absolute handwerkliche Meisterleistung. Verziert ist sie mit sehr plastischen Szenen aus dem alten und neuen Testament.

Auch im Dom bietet die romanische Architektur des Baus aus dem 11 Jahrhundert den zurückhaltenden Rahmen für die Kunstschätze. Die nächsten XXXL-Kunstwerke hängen im Dom ab: Der Hezilo-Leuchter, sechs Meter Durchmesser, mit 72 Kerzen versehen. Auch wenn der Stifter nicht Bernward ist sondern vermutlich sein Nachfolger, Bischof Herzilo, kommen hier ebenfalls bedeutungsvolle Zahlen ins Spiel. Die Gestaltung symbolisiert die Stadtmauer des himmlischen Jerusalems mit zwölf Toren. Weitere großformatige Radleuchter schmücken das Kirchenschiff.

Ein wahre Schatzkammer – Gold wohin man schaut

Ich war noch nie in einem Dom-Museum, vielleicht sind sie ja alle solche Schatzkammern. Was immer ich erwartet hatte – vielleicht alte Bücher, sakrale Objekte, ein wenig Gold – die Realität entlockte mir ein ziemlich lautes „Wow“: Gold, Diamanten, Edelsteine, noch mehr Gold. Die Kombination von Geld und Glaube hat, wie so oft, die Gestaltung unglaublicher Kunstwerke ermöglicht.

Die goldene Madonna aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts wird dem künstlerischen Zeitgeist angepasst – allerdings nur was die Gestaltung der abnehmbaren Körperteile Köpfe und Hand angeht. Das Kreuz ist der eingangs erwähnte Reliquienschrein mit dem Holzsplitter.

Der Name der Rose? Keine Ahnung – aber sie ist legendär.

Eigentlich ist sie eine recht unspektakuläre Pflanze: Die Hundsrose. Keine großen Blüten-Kunstwerke, sondern recht schlichte Exemplare. Doch der riesige Rosenstock im Innehof des Domes ist über tausend Jahre alt und natürlich sagenumwoben. Es gibt zwei Versionen der Legende.

Genau kann man das Alter des Strauches nicht bestimmen. Die Hundsrose hat jedoch die Fähigkeit zur Erneuerung durch unterirdische Sprossen, ohne dass sich dadurch die Erbanlagen verändern. So ist es immer noch der gleiche Strauch, der Feuer, Kriege und Dürren überstand. Die Blütezeit ist nur kurz – ich war gerade zur richtigen Zeit da.

25. Die Residenz Würzburg

Zuviel des Guten?

Tja, Barock… Ich kann eigentlich jeder kunsthistorischen Epoche etwas abgewinnen, mal mehr, mal weniger, aber irgendetwas spricht mich immer an. Bis auf den Barock: Ich fühle mich erschlagen von der Opulenz, dem inflationären Gebrauch von Stuck und Gold, der Unruhe in jeder Ecke. Und jetzt: Die Residenz Würzburg, in das UNESCO Weltkulturerbe aufgenommen als außergewöhnliches barockes Gesamtkunstwerk.

Die Residenz bestätigt all meine Erwartungen – und doch werde ich auch hier überrascht. Es gibt faszinierende Orte und Superlative zu entdecken. Es sind Geschichten versteckt – skurrile, bewegende und überraschende.

Seltsame Wesen im größten Deckenfresko der Welt

Der berühmteste Ort in der Residenz eröffnet sich gleich zu Beginn: Das Treppenhaus. Es hat mit 677m² das größte zusammenhängende Deckenfresko der Welt. Der berühmte Maler Tiepolo erzählt von den Entdeckungen ferner Länder, die die Menschen der damaligen Zeit faszinierten. Auf jeder Seite sind Szenen aus einem anderen Kontinent zu sehen: Asien, Afrika, Amerika und Europa. Mitte des 18. Jahrhunderts, als das Fresko geschaffen wurde, unternahmen nur wenige Menschen weite Reisen. Und so griff der Meister des Pinsels in vielen Details auf eine Vorstellung von den Tieren zurück, von denen die Reisenden berichtet hatten. Realistische bildliche Darstellungen brachten sie selten mit. Schauen wir uns mal diese beiden an…

Schwarzenegger-Strauß
Ein Strauß namens Schwarzenegger
Elefant mit Schweinerüssel
Mehr Ohr als Elefant mit Schweineschnauze

Alles an der Residenz war darauf angelegt, zu beeindrucken. In dem Deckengemälde im Treppenhaus findet sich deshalb natürlich auch der Auftraggeber und Besitzer der Residenz, Fürstbischof Carl Phillip von Greiffenclau an prominenter Stelle im Europateil. Man könnte sich das Fresko vermutlich stundenlang ansehen, sofern die Nackenmuskeln das mitmachen und würde immer noch neue Details entdecken. Faszinierend finde ich die Verbindung von Malerei und dreidimensionalen „Accessoires“: Da hängt das eine oder andere aus Gips gestaltete Bein aus dem Gemälde, ein Speer ragt in den Raum.

Stuck, noch mehr Stuck und ein unglaubliches Tuch

Der Weiße Saal ist überraschenderweise – weiß. Und wo der Blick hinfällt: Stuck. So sehr mir das ganze Geschnörkel eigentlich gegen den Strich geht, die Handwerkskunst ist einfach beeindruckend. Besonders verblüfft mich ein Detail: gemusterte Tücher, die so echt aussehen, dass ich sie anfassen möchte, um mich zu überzeugen, dass sie wirklich aus Gips sind.

Stuckdecke
Kaisersaal mit FakeS

Wie bereits erwähnt, Bescheidenheit war kein hohes Gut bei Fürstens in jener Zeit. Im Kaisersaal findet sich ein Deckengemälde, dass die Hochzeit Kaiser Friedrich I. Barbarossas 1156 darstellt . Der Bischof, der sie traut, trägt allerdings die Gesichtszüge des Auftraggebers Carl Phillip von Greiffenclau – der 500 Jahre später gelebt hat. In dieser Rolle taucht der Fürst auch noch an einigen anderen Stellen auf.

Kaisersaal Decke
Der bescheidene Kaisersaal
Kaisersaal Hochzeit
Hochzeit mit Fake-Bischof

Apropos Angeberei: Unser Führer hat uns eine Story über Napoleon Bonaparte erzählt, allerdings ohne Gewähr für die Wahrheit. Die Gäste der Residenz sollten sich damals selbstverständlich nicht ihre kostbaren Seidenschuhe dreckig oder gar nass machen. Deshalb fuhr man mit den Kutschen durch große Tore direkt ins Gebäude. Napoleon nun, um seine Stellung zu unterstreichen, hatte eine Kutsche mit acht Pferden. Die jedoch kam aufgrund ihrer Länge nicht um die Kurve, um die Eingangshalle wieder zu verlassen. Also musste die Kutsche rückwärts wieder raus und der Kaiser war gezwungen, die Residenz zu Fuss zu betreten. Quelle dommage!

Toreinfahrt

Für des Kaisers Besuch wurde natürlich eigens ein Schlafzimmer errichtet.

Napoleons Schlafzimmer
Wie heißt dieser Raum wohl?

„Der Raum der Eitelkeiten“? oder „Influencers Paradies“?

Spiegelsaal

Ich habe mal ChatGPT gefragt, welche kreativen Nutzungsmöglichkeiten es für einen Raum mit Spiegeln geben könnte. Eine der Empfehlungen für einen Sketch: „Die Eitelkeitstherapie“. Eine super eitle Figur (z.B. Influenzer :-) wird zur Spiegeltherapie geschickt – sie muss in einem Raum voller Spiegel sitzen, um endlich zur Ruhe zu kommen. Stattdessen wird er/sie komplett irre, spricht mit den Spiegelbildern, macht Selfies von Selfies, bewundert sich stundenlang.

Spiegel im Spiegel
Spiegelsaal Decke
Die 14 Sultane

In der Staatsgalerie-Außenstelle, die Teil der Residenz ist, finden sich unter anderem diese Herren: Osmanische Sultane. Die osmanische Kultur und ihre Protagonisten interessierten die Menschen in der Barockzeit sehr, entsprechende Bilder finden sich in vielen Sammlungen.

Galerie Osmanische Sultane
Mir gefällt der zweite von unten rechts am besten, Sultan Orcane (Orhan) II – er schaut so richtig keck

Im Anschluss an die Staatsgalerie komme ich in den überraschendsten Raum der Residenz, der mich in seiner Schlichtheit sofort anspricht: Es ist das frühere Operntheater, der jetzt „Nordoval-Galeriesaal“ genannt wird. Er wurde 1744 gebaut, diente kurz als Theater, Anfang des 19. Jahrhunderts stand hier auch mal ein Karussell für die Kinder des späteren Königs Ludwig I.

Galeriesaal
Hinten wird’s erst richtig herrschaftlich

Der Hofgarten wurde bei der UNESCO-Anerkennung ausdrücklich ebenfalls mit einbezogen. Die Vorderansicht wird durch den große Parkplatz etwas beeinträchtigt, hinten sieht alles ordnungsgemäß herrschaftlich aus.

Residenz von hinten
Hofgarten

In der Fußgängerzone begegnet man kaum noch Panflötenspielern – im Hofgarten habe ich Pan, den Flötenspieler gefunden.

Pan mit Flöte
Der amerikanische Retter im 2. Weltkrieg

Dass die Residenz in all ihrer Pracht heute noch erhalten ist, verdanken wir vor allem dem amerikanischen Kunstschutzoffizier John Davis Skilton. Er sorgte nach einem verheerenden Bombenangriff für Notdächer. Ich hatte zuvor noch nie davon gehört, dass es so etwas gab und ein wenig nachgeforscht. Skilton war Kunsthistoriker und Mitarbeiter der Nationalgalerie in Washington.

Die „Monuments, Fine Arts and Archives Section“ wurde 1943 gegründet, um die Kunstschätze Europas zu retten. Sie bargen tausende von Gemälden, Skulpturen, Gold und andere Kulturgüter. Der Film „Monuments Men“ von 2014 mit George Clooney basiert weitgehend auf Tatsachen.

John Davis Skilton
Der Monuments Man John Davis Skilton
Foto Kriegsschäden
Ein Bild der Zerstörung
Auf den Spuren einer sehr alten Erinnerung

Auf dem Weg nach Würzburg sah ich eine Abfahrt nach Mespelbrunn – und damit in meine sehr frühe Kindheit. Es kann sogar der erste Urlaub sein, den ich mit der Familie machte, ich war acht oder neun Jahre alt. Wir waren im Spessart und besuchten das Schloss Mespelbrunn. Für ein kleines Mädchen war ein echtes Schloss, dazu sogar noch ein Wasserschloss, natürlich das Größte überhaupt. Für meine Eltern lag der Reiz vielleicht eher darin, dass das Schloss Teil der Filmkulisse von „Das Wirtshaus im Spessart“ von 1958 war. Neben Lieselotte Pulver spielte in dem Film alles, was damals Rang und Namen im deutschen Filmgeschäft hatte.

Mespelbrunn

Bei einer Kindheitserinnerung erscheinen die Dinge ja oft größer, als sie tatsächlich waren. Beim Schloss Mespelbrunn war das definitiv nicht der Fall – es kam mir sogar noch größer vor und auf jeden Fall genauso zauberhaft wie in meiner Erinnerung!

Das Andenken an die REsidenz: Natürlich barock!

Im Touristen-Shop gab es viele niedliche Schwäne, niedliche Putten, niedliche Deckchen und vieles Niedliches mehr. Zu süß für mich, aber etwas Passendes sollte es doch sein. Also wurde ich zur Dame und griff zu einem Fächer und in feine Spitze gehüllte Seife.

24. Das Kloster Lorsch

Von Atzmännern und heiligen Knochen

Anfahrt unproblematisch, Ausschilderung perfekt, Parken umsonst. Drei Dinge, die einen Ausflug schon mal gut starten zu lassen. Der erste Blick auf die berühmte Königshalle allerdings: enttäuschend. Wie sehr ich mich bei der vermeintlich langweiligen Location irrte, merkte ich bei der späteren Führung…

Der Blog heißt ja „Selfies mit der Weltgeschichte“, um dem Titel gerecht zu werden müsste ich also jedes mal mein Gesicht in die Kamera halten. Ist aber nicht so mein Ding, also brauchte ich ein Double.

Da die Führung erst rund 1 1/2 Stunden nach meiner Ankunft begann, konnte ich mich auf die Suche nach dem ersten Einsatzort für mein neues Selfie-Double machen. Sehr zur Unterhaltung einiger anderer Besucher, die sich wohl fragten, warum die ältere Frau immer wieder auf dem Boden saß oder kniete. Was dabei rausgekommen ist, seht Ihr ganz oben. Erkenntnis: Gar nicht so einfach, mein Mini-Me richtig in Szene zu setzen – es ging sicher besser mit einem Stativ oder etwas ähnlichem. Werde ich herausfinden.

Zurück zum Kloster Lorsch. Zu Beginn der Führung erfahre ich erstmal, wie groß das Gelände ist und wie clever angelegt. Dank Fördermitteln von der UNESCO wurden die Konturen der verschwundenen Gebäude oder Gebäudeteile in der Bodengestaltung umgesetzt: Sie werden durch Vertiefungen in den Rasenflächen vermittelt. Das Gelände sieht übrigens nicht nur aus wie eine Düne, es ist tatsächlich eine eiszeitliche Flugsand-Düne, wie wir erfahren.

Die scheinbar langweilige Königshalle…

…entpuppt sich als spannendes Juwel. Irgendwie hatte ich bei diesem Namen ein wesentlich größeres Gebäude erwartet. Groß ist sie wirklich nicht (10,90×7,20m), aber einzigartig. Sie eines der wenigen Bauwerke aus Karolingischer Zeit, das noch vollständig erhalten ist. Faszinierend ist die Außengestaltung: Was ich für bemalte Flächen oder Fliesen – Sechsecke und Vierecke – gehalten hatte, sind Steine, die in diesen Formen behauen wurden. Daraus wurden dann die Mauern gebaut und damit die Muster gebildet. Große Baukunst!

Wofür die Halle genutzt wurde ist nicht klar. Eine Theorie: Es handele sich um den Eingang zum Klostergelände – naheliegend bei den Torbogen. Das wurde aber widerlegt, als man rund 15 Meter entfernt die Klostermauer mit der entsprechenden Pforte fand. Lange dachte man auch, die Halle sei zu Ehren Karls des Großen erbaut worden, der 774 an der Weihe der neuen Klosteranlage in Lorsch teilnahm. Mittlerweile ist das Alter der Halle aber wissenschaftlich bestimmt worden und auf die Zeit um 900 datiert worden. Die aktuellen Vermutungen gehen in Richtung eines Gerichtsgebäudes.

Der Arm in der Wand

Richtig spektakulär wurde es dann innen. Wie stiegen eine schmale Treppe hoch und gelangten in einen wunderschönen Raum mit einer Tonnendecke und bemalten Wänden. Es begann ein Spaziergang mit den Augen, an so vielen Stellen gab es etwas zu entdecken. Und dann: Ein Arm in der Wand! Ein Anblick, der im ersten Moment zu einem gruseligen Krimi passen könnte. Wir werden noch an vielen Stellen auf wiederverwendetes Baumaterial aus verschiedenen Jahrhunderten stoßen. Upcycling würde man das heute nennen. Hier war es der Teil einer Statue, der mit vermauert wurde. Ein Zufallsfund übrigens bei der Restaurierung des Raumes.

Ein Brunnen voller Schätze

Auf dem Gelände gibt es zwei Brunnen. Der eine ist sehr alt und aus Sicherheitsgründen zugeschüttet. Der andere stammt aus der Barockzeit – und entpuppte sich als wahre Schatzkammer, dank des Upcycling der damaligen Bauherren. Die Zehntscheune (die IST übrigens groß: rund 80 Meter lang!) auf dem Klostergelände zeigt die Funde aus 200 Jahren Forschungsgeschichte. Darunter auch, was alles für den Bau des Brunnens verwendet wurde: Komplette Statuen, Bestandteile von Säulen, dekorierte Steine. Damit kommen wir auch zu dem Atzmann, eine der gefundenen Statuen. Es ist eine Kuriosität aus dem 13. Jahrhundert. Die Figur eines Diakons trägt einen Pult und diente in der Nazarius-Basilika als Halter liturgischer Bücher, bevor auch er als Baumaterial endete.

Der Atzmann
Noch ein Baustoff-Diakon

Atzmann – das klingt eigentlich ziemlich lustig. Unsere Besuchergruppe spekuliert ein wenig über das Wort. Mir fiel in diesem Zusammenhang Essen ein – ich kenne das Wort „Atzung“ für Nahrung. Wikipedia informiert mich später, dass es eigentlich ein Name für eine magische Figur ist, die für Rachezauber verwendet wurde. Ok – und was hat das mit einer kirchlichen Statue zu tun? Auch hier weiß Wikipedia die Antwort: Die einfachen Leute hatten die Vorstellung, es seien böse Geister, die man sich in der Kirche dienstbar gemacht hatte.

Die Innengestaltung der Scheune ist übrigens grandios: Schwarzer Boden, die Fundstücke werden durch Spots im wahrsten Sinne des Wortes ins rechte Licht gesetzt. Multimediale Elemente vermitteln einen lebhaften Eindruck von den Fundstücken. Die Wirkung: Eine Black-Box ´der Geschichte! Leider habe ich vor lauter Begeisterung vergessen, diesen Eindruck als Foto einzufangen …

Man weiß es nicht genau: Sarkophag Ludwig des Deutschen (9. Jh.)?
Knochen: Social Media des Mittelalters

Gegenüber der Königshalle liegt auf einer Anhöhe der Rest der Nazarius-Basilika. Wenn man heute bekannt werden will, sorgt man für viel Aktivität in den Sozialen Medien. Viele Bilder, je nach Geschmack und Interesse mehr oder weniger spannend oder spektakulär, schaffen Aufmerksamkeit. Was aber machte man, wenn man im 8. Jahrhundert ein neu gegründetes Kloster bekannt machen will? Das Kloster brauchte Geld, sprich Einnahmen aus Ländereien. Es brauchte Gönner, Spender, Unterstützer. Und was war die begehrteste „Ware“ als Gegenleistung für Reiche in dieser Zeit? Seelenheil! Am besten durch Verehrung eines Heiligen. Also bat der damalige Bischof Chrodegang von Metz den Papst für seine Klostergründungen um die Gebeine von Heiligen. Und nur ein Jahr nach der Gründung des Klosters, im Jahr 764, zogen die Gebeine des heiligen Nazarius als Schutzheiliger ins Kloster Lorsch ein. Der Plan ging auf: 25 Jahre später hatte das Kloster 1.400 Schenkungen erhalten und besaß Ländereien von der Nordsee bis in die Schweiz.

Die Basilika aus dem frühen 12. Jahrhundert sieht irgendwie mystisch aus auf ihrem Hügel. Sie thront massiv und dominierend über dem Gelände.

Flötentöne als Andenken

Natürlich wollte ich auch aus dem Kloster Lorsch ein Andenken mitbringen. Ich hätte ja gerne den Atzmann gehabt aber der musste dort bleiben. Und genaugenommen sind kopflose Männer auch nicht wirklich mein Ding.

Atzmann & Me

Im Shop der Tourist-Information habe ich diese kleine Wasserflöte gefunden. Die Töne verändern sich, je nachdem, wieviel Wasser drin ist. Zauberhaft und ganz schön vogelig!