1001 Nacht & der Teufel
Ich hatte schon Bilder vom Inneren des Doms gesehen und wußte, dass es spektakulär ist. Aber als ich dann das Gebäude betrat, blieb mir tatsächlich für einen Moment der Mund offenstehen und ein ziemlich lautes „Wow!“ entfuhr mir. Der erste Eindruck war der eines orientalischen Palastes – überall an der Decke war funkelndes Mosaik. Die Pracht stammt allerdings nicht aus der Zeit des Baus um 800, sondern entstand im Zuge der Restaurierungen Anfang des 20. Jahrhunderts.

Auch sehr beeindruckend: Die riesigen Fenster. Sie haben nicht nur christliche Motive, sondern einige sehen aus wie ein gläserner Vorhang – ein beabsichtigter Effekt, wie ich später bei der Führung erfahre. Wie auch die Geschichte vom Bau des Domes durch den Teufel… Mehr dazu weiter unten.

Teufelspakt & Menschenlist
Wie war das also mit dem Bau des Aachener Doms? Kaiser Karl wollte Aachen zum religiösen Zentrum machen, dazu brauchte es natürlich eine angemessen eindrucksvolle Kirche. Er gab den Stadtoberen einen ordentlichen Batzen Geld, verabschiedete sich 798 für eine Reise durch sein Reich und hinterließ den Auftrag, der Dom solle bis zu seiner Rückkehr fertiggestellt sein. Das war nicht so unmöglich, wie es klingt – schließlich waren Reisen im 8. Jahrhundert keine 14-tägigen Kurztrips, sondern eine jahrelange Beschäftigung. Und was taten des Kaisers Untertanen? Was in allen Jahrhunderten immer wieder passierte, wenn viel Geld im Spiel ist: Sie gaben es für alles mögliche aus, nur nicht für den Bau des Domes. Es kam, wie es kommen musste: Der Kaiser kündigte seine Rückkehr an, natürlich in Erwartung eines prächtigen Kirchenbauwerks. Der Teufel bekam von ihrer Notlage Wind und versprach, den Dom zu bauen, mit der bei Teufeln gängigen Bedingung: Die Seele des ersten Lebewesens, das den Dom betrat, gehört ihm!
Die Aachener akzeptierten den Deal, der Dom war in Rekordzeit fertig. Doch keiner getraute sich, ihn zu betreten, um nicht seine Seele zu verlieren. Aber dann fiel ihnen ein, dass der Teufel nie gesagt hatte, das erste Lebewesen müsse ein Mensch sein. Also nahmen sie ihn beim Wort und trieben einen Wolf durchs Portal. Das entzürnte den Teufel so sehr, dass er gegen das Portal trat – die Stelle sieht man heute noch. Beim wutentbrannten Hinausstürmen klemmte er sich den Finger an dem Wolfskopf ein, der die Tür zierte und dieser Finger steckt bis heute noch darin…



Himmlische Ausblicke
Wie oft in Kirchen, geht der Blick im Aachener Dom nach oben – auch für nichtgläubige Menschen, wenn die Decke so spektakulär gestaltet ist. Hier spielt die Zahl acht eine entscheidende Rolle: Die Kuppel des Pfalzbaus, des Zentralbaus des Doms, ist ein Achteck. Man könne sie vermutlich stundenlang betrachten und immer neue Details entdecken. Mehr zur Zahlensymbolik findet sich auf der Internetseite des Karlsvereines.

Habe ich den nicht schon mal gesehen? Fast – im Hildesheimer Dom hängen zwei weitere der insgesamt nur vier bekannten Radleuchter aus romanischer Zeit in Deutschland. Dieser hier heißt Barbarossaleuchter und wurde – Überraschung! – von Kaiser Friedrich I., genannt Barbarossa, im 12. Jahrhundert gestiftet. Er hängt an einer 27 m langen Kette, für die ein Trick angewandt wurde: Die Kettenglieder verjüngen sich nach unten um ca. 4 mm, wodurch erst der perspektivische Eindruck möglich ist, die Kette sei auf ihrer ganzen Länge gleich dick.
Kaiserthron mit Gesellschaftsspiel

Ganz schön schlicht, in Anbetracht der Tatsache, dass hier schon so manches königliche Hinterteil Platz nahm, um sich Krönen zu lassen. Das von Kaiser Karl dem Großen gehörte aber nicht dazu, auch wenn man das lange vermutete. Ein Thron wird erst 936 anlässlich der Krönung von König Otto I. schriftlich erwähnt. Damit startete eine bis 1531 andauernde Tradition, nach der der künftige deutsche König auf diesem Thron gesessen haben musste, um legitimiert zu sein. 30 Könige wurden in Aachen gekrönt.
Hätte man sich für die Gestaltung eines so wichtigen „Einrichtungsgegenstandes“ nicht mehr Mühe geben müssen? Eine gängige Theorie sagt, dass die Steine selbst Reliquien seien, weil sie aus der heiligen Stadt Jerusalem stammten. Auf jeden Fall sie sind ein Beispiel für frühmittelalterliches Recycling, denn die Marmorplatten wurden auf jeden Fall schon mal in anderen Bauwerken verwendet.

Skurriles Detail: An der rechten Seite sind die Linien eines antiken Mühle-Spielfeldes zu sehen. Das legt die Vermutung nahe, dass zumindest dieser Stein aus dem alten Rom stammt, denn dort hat man solche Gravuren im Forum Romanum gefunden.
Auf der Internetseite des Aachener Domes gibt es ein sehr eindrucksvolles Foto des Thrones von vorne, das ich so leider nicht machen konnte, ohne mich außen an das Geländer zu hängen…
Eine gute Aussicht hatte der jeweilige Thron-Besitzer auf jeden Fall: nach Osten und auf die umlaufende Galerie mit den dekorativen Bögen, die von nicht-tragenden Säulen geziert werden. Einige der Säulen sind noch original, obwohl sie Opfer eines Raubes wurden: Als die Franzosen Ende des 18. Jahrhundert Aachen besetzten, ließ Napoleon 1794 die Säulen entfernen und nach Paris bringen. Bis 1815 standen sie dort und noch heute befinden sich im Louvre Säulen aus dem Aachener Dom. Den Rücktransport der meisten Säulen haben ein paar nicht überstanden, so dass einige Nachbildungen im Oktogon stehen.

Reliquien in Gold gehüllt


Kaiser Karl I., der Erbauer des Domes, starb nur ein Jahr nach der Fertigstellung im Jahr 814 und wurde natürlich in seiner Kirche beigesetzt. Seit Anfang des 12. Jahrhundert werden seine Gebeine standesgemäß in einem goldenen Schrein aufbewahrt. Die anderen Reliquien haben mit Maria zu tun: Das Gewand, in dem Maria Jesus geboren hat, eine Windel des Jesuskindes, das Lendentuch Jesu und das Enthauptungstuch des heiligen Johannes. Inzwischen weiß man, dass sie nicht echt sind, aber die Sammlung war und ist Ziel von Pilgerfahrten.
Puzzle der Zeitgeschichte
Um den achteckigen Zentralbau wurde im Laufe der Jahrhundert immer wieder angebaut. Im 14. Jahrhundert begannen die Pilgerfahrten zu den „Textil-Reliquien“, in dieser Zeit entstand der gotische Chor mit den riesigen Buntglasfenstern. Mit ihrer Höhe von 25,55 Metern gehören sie zu den höchsten gotischen Fenstern in Europa. Die Pracht hat den 2. Weltkrieg nicht überstanden, die Fenster wurden nach dem Krieg erneuert und 1997/98 saniert. Das führte auch zu der auf mich etwas unangenehm wirkenden Tatsache, dass unten an den Fenstern die Namen der Sponsoren-Firmen zu lesen sind.
Das Aussehen veränderte sich weiter durch den Anbau von Kapellen im 14. und 15. Jahrhundert. Durch die unterschiedlichen Baustile sieht der Dom von außen irgendwie etwas unordentlich aus, imposant ist er trotzdem.



Karl, der wirklich große
Eigentlich ist „der Grosse“ ein Ehren-Beiname für Herrscher, die etwas Besonderes geleistet haben (sollen). Dieser war aber auch für seine Zeit wirklich ein Riese: 1,83 – 1,86m! Selbst heutzutage wäre er damit ein stattlicher Mann, im 9. Jahrhundert betrug die Durchschnittsgöße von Männern aber nur 1,67m.
Ein paar Karl-Fakten:

Foto: Pixabay, Peter Timmerhues, Steinfurt
- * vermutlich 747, † 814
- König des Frankenreiches
- 800 zum ersten europäischen Kaiser seit der Antike gekrönt
- War vier- oder fünfmal verheiratet + ein paar „Nebenfrauen“
- 18 legitime Kinder
- Konnte weder Lesen noch Schreiben
- Sorgte für eine Bildungsreform in seinem Reich („Karolingische Bildungsreform > Wikipedia)
Sonne, Strand & Dom

Da hat sich jemand etwas einfallen lassen, um den Summer in the City zu etwas Besonderem zu machen: Zwischen Dom und Rathaus wurde ein riesiger Strand aus 240t feinem Sand aufgeschüttet, sehr zur Freude nicht nur der Kinder. Groß wie ein halbes Fußballfeld, gibt es rund um den XXL-Sandkasten reichlich Platz für Liegestühle und Sonnenschirme für die Erwachsenen.
Ich sattele die Pferde und mache mich auf zum nächsten faszinierenden Welterbe-Erlebnis!

Ein Gedanke zu “30. Aachener Dom”