24. Das Kloster Lorsch

Von Atzmännern und heiligen Knochen

Anfahrt unproblematisch, Ausschilderung perfekt, Parken umsonst. Drei Dinge, die einen Ausflug schon mal gut starten zu lassen. Der erste Blick auf die berühmte Königshalle allerdings: enttäuschend. Wie sehr ich mich bei der vermeintlich langweiligen Location irrte, merkte ich bei der späteren Führung…

Der Blog heißt ja „Selfies mit der Weltgeschichte“, um dem Titel gerecht zu werden müsste ich also jedes mal mein Gesicht in die Kamera halten. Ist aber nicht so mein Ding, also brauchte ich ein Double.

Da die Führung erst rund 1 1/2 Stunden nach meiner Ankunft begann, konnte ich mich auf die Suche nach dem ersten Einsatzort für mein neues Selfie-Double machen. Sehr zur Unterhaltung einiger anderer Besucher, die sich wohl fragten, warum die ältere Frau immer wieder auf dem Boden saß oder kniete. Was dabei rausgekommen ist, seht Ihr ganz oben. Erkenntnis: Gar nicht so einfach, mein Mini-Me richtig in Szene zu setzen – es ging sicher besser mit einem Stativ oder etwas ähnlichem. Werde ich herausfinden.

Zurück zum Kloster Lorsch. Zu Beginn der Führung erfahre ich erstmal, wie groß das Gelände ist und wie clever angelegt. Dank Fördermitteln von der UNESCO wurden die Konturen der verschwundenen Gebäude oder Gebäudeteile in der Bodengestaltung umgesetzt: Sie werden durch Vertiefungen in den Rasenflächen vermittelt. Das Gelände sieht übrigens nicht nur aus wie eine Düne, es ist tatsächlich eine eiszeitliche Flugsand-Düne, wie wir erfahren.

Die scheinbar langweilige Königshalle…

…entpuppt sich als spannendes Juwel. Irgendwie hatte ich bei diesem Namen ein wesentlich größeres Gebäude erwartet. Groß ist sie wirklich nicht (10,90×7,20m), aber einzigartig. Sie eines der wenigen Bauwerke aus Karolingischer Zeit, das noch vollständig erhalten ist. Faszinierend ist die Außengestaltung: Was ich für bemalte Flächen oder Fliesen – Sechsecke und Vierecke – gehalten hatte, sind Steine, die in diesen Formen behauen wurden. Daraus wurden dann die Mauern gebaut und damit die Muster gebildet. Große Baukunst!

Wofür die Halle genutzt wurde ist nicht klar. Eine Theorie: Es handele sich um den Eingang zum Klostergelände – naheliegend bei den Torbogen. Das wurde aber widerlegt, als man rund 15 Meter entfernt die Klostermauer mit der entsprechenden Pforte fand. Lange dachte man auch, die Halle sei zu Ehren Karls des Großen erbaut worden, der 774 an der Weihe der neuen Klosteranlage in Lorsch teilnahm. Mittlerweile ist das Alter der Halle aber wissenschaftlich bestimmt worden und auf die Zeit um 900 datiert worden. Die aktuellen Vermutungen gehen in Richtung eines Gerichtsgebäudes.

Der Arm in der Wand

Richtig spektakulär wurde es dann innen. Wie stiegen eine schmale Treppe hoch und gelangten in einen wunderschönen Raum mit einer Tonnendecke und bemalten Wänden. Es begann ein Spaziergang mit den Augen, an so vielen Stellen gab es etwas zu entdecken. Und dann: Ein Arm in der Wand! Ein Anblick, der im ersten Moment zu einem gruseligen Krimi passen könnte. Wir werden noch an vielen Stellen auf wiederverwendetes Baumaterial aus verschiedenen Jahrhunderten stoßen. Upcycling würde man das heute nennen. Hier war es der Teil einer Statue, der mit vermauert wurde. Ein Zufallsfund übrigens bei der Restaurierung des Raumes.

Ein Brunnen voller Schätze

Auf dem Gelände gibt es zwei Brunnen. Der eine ist sehr alt und aus Sicherheitsgründen zugeschüttet. Der andere stammt aus der Barockzeit – und entpuppte sich als wahre Schatzkammer, dank des Upcycling der damaligen Bauherren. Die Zehntscheune (die IST übrigens groß: rund 80 Meter lang!) auf dem Klostergelände zeigt die Funde aus 200 Jahren Forschungsgeschichte. Darunter auch, was alles für den Bau des Brunnens verwendet wurde: Komplette Statuen, Bestandteile von Säulen, dekorierte Steine. Damit kommen wir auch zu dem Atzmann, eine der gefundenen Statuen. Es ist eine Kuriosität aus dem 13. Jahrhundert. Die Figur eines Diakons trägt einen Pult und diente in der Nazarius-Basilika als Halter liturgischer Bücher, bevor auch er als Baumaterial endete.

Der Atzmann
Noch ein Baustoff-Diakon

Atzmann – das klingt eigentlich ziemlich lustig. Unsere Besuchergruppe spekuliert ein wenig über das Wort. Mir fiel in diesem Zusammenhang Essen ein – ich kenne das Wort „Atzung“ für Nahrung. Wikipedia informiert mich später, dass es eigentlich ein Name für eine magische Figur ist, die für Rachezauber verwendet wurde. Ok – und was hat das mit einer kirchlichen Statue zu tun? Auch hier weiß Wikipedia die Antwort: Die einfachen Leute hatten die Vorstellung, es seien böse Geister, die man sich in der Kirche dienstbar gemacht hatte.

Die Innengestaltung der Scheune ist übrigens grandios: Schwarzer Boden, die Fundstücke werden durch Spots im wahrsten Sinne des Wortes ins rechte Licht gesetzt. Multimediale Elemente vermitteln einen lebhaften Eindruck von den Fundstücken. Die Wirkung: Eine Black-Box ´der Geschichte! Leider habe ich vor lauter Begeisterung vergessen, diesen Eindruck als Foto einzufangen …

Man weiß es nicht genau: Sarkophag Ludwig des Deutschen (9. Jh.)?
Knochen: Social Media des Mittelalters

Gegenüber der Königshalle liegt auf einer Anhöhe der Rest der Nazarius-Basilika. Wenn man heute bekannt werden will, sorgt man für viel Aktivität in den Sozialen Medien. Viele Bilder, je nach Geschmack und Interesse mehr oder weniger spannend oder spektakulär, schaffen Aufmerksamkeit. Was aber machte man, wenn man im 8. Jahrhundert ein neu gegründetes Kloster bekannt machen will? Das Kloster brauchte Geld, sprich Einnahmen aus Ländereien. Es brauchte Gönner, Spender, Unterstützer. Und was war die begehrteste „Ware“ als Gegenleistung für Reiche in dieser Zeit? Seelenheil! Am besten durch Verehrung eines Heiligen. Also bat der damalige Bischof Chrodegang von Metz den Papst für seine Klostergründungen um die Gebeine von Heiligen. Und nur ein Jahr nach der Gründung des Klosters, im Jahr 764, zogen die Gebeine des heiligen Nazarius als Schutzheiliger ins Kloster Lorsch ein. Der Plan ging auf: 25 Jahre später hatte das Kloster 1.400 Schenkungen erhalten und besaß Ländereien von der Nordsee bis in die Schweiz.

Die Basilika aus dem frühen 12. Jahrhundert sieht irgendwie mystisch aus auf ihrem Hügel. Sie thront massiv und dominierend über dem Gelände.

Flötentöne als Andenken

Natürlich wollte ich auch aus dem Kloster Lorsch ein Andenken mitbringen. Ich hätte ja gerne den Atzmann gehabt aber der musste dort bleiben. Und genaugenommen sind kopflose Männer auch nicht wirklich mein Ding.

Atzmann & Me

Im Shop der Tourist-Information habe ich diese kleine Wasserflöte gefunden. Die Töne verändern sich, je nachdem, wieviel Wasser drin ist. Zauberhaft und ganz schön vogelig!

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