21. Völklinger Hütte

„Rost vor blauem Himmel macht sich immer gut“, sagt Sarah Schäfer, die uns durch das Gelände führt. Es ist eine riesige Ansammlung von rostigen Gebäuden auf 746.000 m², die sich da vor mir ausbreitet: Die Völklinger Hütte. Ich habe ein Faible für Industriearchitektur und für die gigantischen Maschinen, die sie beherbergt. Aber was hat die UNESCO 1994 bewogen, eine Industrieanlage für Eisenherstellung zum Welterbe zu erklären? Die Völklinger Hütte ist tatsächlich sogar das erste UNESCO Industriedenkmal der Welt. Es sind vor allem zwei Faktoren, die sie einmalig machen:

  • Die Anlage ist seit dem Bau 1888 in unverändertem Zustand erhalten. Das heißt, die Maschinen haben bis zur Schließung der Hütte 1986 ihre Funktion erfüllt.
  • Einmalig auf der Welt: Alle sechs Hochöfen wurden über einen einzigen Schrägaufzug mit Material beliefert – eine technische Meisterleistung. In allen anderen Anlagen hat jeder Hochofen ein eigenes Förderband.
Schrägaufzug von unten
Schrägaufzug mit Lore

Willkommen statt Wasser

Die Führung beginnt im ehemaligen Wasserspeicher. Hier wurden früher 3 Millionen Liter Wasser gebunkert, das unerlässlich für die Kühlung der Hochöfen war. Heute ist das Gebäude die Eingangshalle zum Weltkulturerbe Völklinger Hütte.

Fun fact: Die verdreckten Fenster der Gebäude dürfen nicht geputzt werden – auch der Dreck ist denkmalgeschützt!

Gigantisch beeindruckend

In der Völklinger Hütte begegnen uns auf Schritt und Tritt gigantische Maschinen. In der Gebläsehalle stehen wir vor riesigen Gasmaschinen: Bis zu 29m lang, 14m breit und mit Schwungrädern von 7m Durchmesser. Sie bliesen mit ihren 3.500 PS Motoren 50 x pro Minute Druckluft in die Hochöfen. Die mit Sauerstoff angereicherte und in Winderhitzern vorgewärmt Heißluft war essentiell, um den Hochofenprozess kontinuierlich zu erhalten. Selbst kurze Unterbrechungen der Luftzufuhr konnten dazu führen, dass das flüssige Eisen erstarrte und den Hochofen zum Stillstand brachte. Die Maschinen waren laut – 120 Dezibel (wie ein Flugzeugtriebwerk in 100m Entfernung!) in einer Zeit, als sich niemand um Gehörschutz kümmerte. Und in der Luft flimmerten Regenbogen, erzeugt durch das zerstäubte Schmieröl für die Anlage.

Schwungrad Gebläsehalle / Bild von Malcolm Brook auf Pixabay
Bild von Malcolm Brook auf Pixabay

Wir klettern auf einen Hochofen

Blick auf die Hochöfen
Oben angekommen: Blick auf die Hochöfen

Es sind viele Stufen, aber das Klettern lohnt sich. Zum einen wegen des großartigen Blicks über die Anlage. Vor allem aber können wir den kompletten Prozess der Eisenherstellung nachvollziehen, und der beginnt oben: mit dem Einfüllen des Roherzes. Wir erfahren, wie gefährlich die Arbeit am Hochofen war – und mit welchen cleveren Tricks sich die Arbeiter schützten. Denn Schutzkleidung gab es nicht, das erste Arbeitsschutzgesetz wurde erst 1973 erlassen.

Hochofen-Deckel

Irgendwie müssen das Eisenerz und die Zusatzstoffe in den Ofen – und dazu muss der Deckel geöffnet werden.

Problem: Bei dem Schmelzprozess entsteht das ziemlich tödliche Kohlenmonoxid und sammelt sich oben, wie Gas das nun mal so an sich hat...

Ein Sicherung gab es: Unter dem Deckel befindet sich eine Glocke, die das Gas zurückhielt. Der Deckel wurde geöffnet, Material rein. Deckel zu, Glocke öffnen, Material fällt in den Ofen. Aber: Die Abdichtung war nicht 100%ig, die Chance, einen tödlichen Atemzug zu tun, bestand also trotzdem. Also machten die Arbeiter vor dem Öffnen ein Feuer und beobachteten anhand der Flamme, woher der Wind kam. Damit wussten sie, wohin das Gas treiben würde – und sie nicht stehen durften…

Hochofen von Außen

So sieht der Hochofen von Außen aus. Er wurde aus Stein gebaut und hat eine Stahlummantelung – das ist aber erst seit 1928 so. Damals wurde ein Hochofen durch eine Kohlenstaubexplosion zerstört, 13 Menschen starben. Die Löcher mit den Klappen dienen der Lenkung des Kühlwassers.

Noch eine Story aus der Kategorie „Man muss sich nur zu helfen wissen“: Die Öfen mussten regelmäßig ausgebessert werden – ein Höllenjob! Die Steine speicherten natürlich die Hitze des Schmelzprozesses (bis 2.200°) noch lange. Die Arbeiter, die Reparaturarbeiten durchführten, banden sich deshalb Holzklötze unter ihre Schuhe, damit die Sohlen nicht schmolzen!

Alles muss raus

Die Hochöfen sind 27m hoch und haben einen Durchmesser von 10m. Irgendwie erwartet man, dass das Ergebnis des Schmelzprozesses, das flüssige Eisen, dann aus einem entsprechend spektakulären Auslauf herauskommt.

Abstichloch

Die Realität sieht aus, als wäre es ein stillgelegter Bachlauf: Ein kleines Loch führt zu einer Rinne, in die das Eisen fließt.

Das Loch wird übrigens nach dem „Abstechen“ des Eisens immer wieder mit Lehm verschlossen und für den nächsten Durchgang dann wieder eingeschlagen. Das Abstechen war ein kritischer Vorgang. Auf keinen Fall durfte gleichzeitig der Deckel des Hochofens geöffnet werden. Zur Warnung läutete man eine Glocke, die die Arbeiter oben am Deckel hören konnten.

Erinnerungsort für die Zwangsarbeiter

Der beeindruckendste Ort in der Völklinger Hütte ist für mich das Mahnmal für die Zwangsarbeiter, die in den beiden Weltkriegen in der Völklinger Hütte schufteten. Rund 12.400 waren es zwischen 1939-1945. Männer, Frauen und Kinder. Unter ihnen waren französische, italienische und russische Kriegsgefangene, aber auch aus der Sowjetunion verschleppte russische und ukrainische Zivilisten. Sie mussten an der Produktion von Waffen mitarbeiten, die dann gegen ihre Heimatländer eingesetzt wurden. Ihre Arbeitsplätze waren die gefährlichsten im ganzen Werk. Widerstand wurde mit Strafexerzieren oder Schlafentzug bestraft. 261 ausländische Arbeiter, meist Zwangsarbeiter, starben in dieser Zeit. Darunter befanden sich auch sechzig Kinder.

Vielleicht habt Ihr auch schon des Öfteren vor Statuen und Installationen gestanden und Euch gefragt, was der Künstler oder die Künstlerin sich dabei wohl gedacht haben mag?

Diese Frage stellt sich bei dem Mahnmal von Christian Boltanski nicht. Es ist eine beeindruckende Installation, die mich sofort gefangen nimmt: Ein schmaler Gang aus gestapelten rostigen Karteikästen führt auf einen Berg aus Arbeitskleidung zu und umrundet ihn. Wenn man ihn betritt, beginnt eine Stimme Namen zu flüstern – es sind die Namen von Zwangsarbeitern.

Leider ist die Videoqualität nicht optimal aber ich glaube, es vermittelt einen guten Eindruck von der berührenden Gestaltung.

Kultur in spektakulärer Umgebung

Viele der Gebäude werden für Ausstellungen und kulturelle Veranstaltungen genutzt. Aktuell findet noch bis zum 17.8. die Ausstellung „The true size of Africa“ statt. Sie verbindet geschichtliche Aspekte wie die Kolonialherrschaft und die damit verbundene Ausbeutung mit afrikanische Kultur der Gegenwart. Unglaublich eindrucksvoll inszeniert zwischen den alten Maschinen der Völklinger Hütte.

Urban Art Biennale 2024

Die Urban Art Biennale findet seit 2011 alle zwei Jahre in der Völklinger Hütte statt. Gezeigt wird Kunst, die sich aus Street Art oder Graffiti entwickelt hat. „Deus ex Machina“ („Gott aus einer Maschine“ – sprichwörtlich für plötzliche, ganz unmotiviert eintretende Ereignisse) hat das Berliner Kunstkollektiv Rocco und seine Brüder den Panzer mit den Kirchenfenstern genannt. Obwohl es eine tödliche Maschine darstellt: Es ist schön…

Kunstobjekt "Deus ex Machina"

„The End“ – ein Medienkunstwerk

The End - Installation von ZEVS
Der Schriftzug sieht aus, als stamme er aus einem alten Hollywoodfilm. Der Künstler ZEVS projiziert darauf aktuelle Nachrichtensendungen aus aller Welt.

„Erinnerungen“ – Christian Boltanski

In der Ausstellung in der Möllerhalle sind historische Arbeitsspinde aus allen Bereichen der Völklinger Hütte zu sehen. Boltanksi hat für die Installation die Erinnerungen ehemaliger Hüttenarbeiter aufgenommen. Sie erzählen von ihrem Arbeitsalltag in der Völklinger Hütte.

Hermann Röchling: Wohltäter und Täter

Carl Röschling kaufte 1881 die marode Völklinger Hütte, die 1872 von dem Hütteningenieur Julius Buch geründet worden war. 1890 hatten sich die „Röchling’schen Eisen- und Stahlwerke“ zum größten Eisenträgerhersteller Deutschlands entwickelt. Sein Sohn Hermann Röchling machte die Völklinger Hütte ab 1905 zu einem der bedeutendsten Industrieunternehmen. Er richtete auch zahlreiche Sozialeinrichtungen für seine Mitarbeiter ein: ein Krankenhaus, ein Schwimmbad, er förderte den Bau von Eigenheimen für seine Arbeiter.  Sicher nicht aus reinem Edelmut vermutlich – er wollte die Gesundheit und Arbeitskraft seiner Arbeiter erhalten.

Bereits nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wird Hermann Röchling 1919 in Frankreich in Abwesenheit als Kriegsverbrecher verurteilt. Er flieht nach Deutschland. Während des Zweiten Weltkrieges war er Wehrwirtschaftsführer und Mitglied von Hitlers Wehrwirtschaftsrates. In seinem Unternehmen hat er maßgeblich an den Entwicklungen von Militärtechnik in der NS-Zeit mitgewirkt. Die Brüder Robert und Hermann Röchling wurden nach dem Krieg wegen Verbrechen gegen Frieden und Menschlichkeit zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt.

Wenn Ihr mehr erfahren wollt: Es gibt einen Film über die Geschichte von Hermann Röchling: Link

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