Diese Welterbestätte sieht so aus, wie sie heißt: Es ist eine große Grube. Ein wenig enttäuschend auf den ersten Blick, weil völlig unspektakulär. Natürlich habe ich nicht erwartet, über Dinosaurierskelette oder riesige Mammutzähne zu stolpern oder in den Tümpel urzeitlichen Krokodile lauern zu sehen. Und dass die Grube Messel alles andere als unspektakulär ist, wird schnell klar. Und die Überreste von Krokodilen bekomme ich tatsächlich zu sehen.

Krokodile? Im beschaulichen Hessen? In der Tat, denn vor 47 Millionen Jahren war hier ein Urwald, der von Leben nur so wimmelte. Tiere, die wir heute bei uns definitiv nicht mehr finden: neben sieben verschiedenen Krokodilarten gab es Pythons, Urpferdchen, Kolibries, Tapire, Primaten und Verwandte von Eichhörnchen, nur etwas größer – so um 1m…


Ich habe jede Menge Eichhörnchen in meinem Garten, sie sind putzig und liefern mir im Herbst ein Wettrennen um die heruntergefallenen Nüsse meines Walnussbaumes. Ein Wettbewerb, den ich mir ganz bestimmt bei den prähistorischen Rieseneichhörnchen verkneifen würde.
Apropos groß: Wir sehen die Flügel einer prähistorischen Ameise, Spannweite 15 cm. Sieht dagegen eine Ameisenstraße, die wir in unsrem Garten finden, nicht richtig niedlich aus?
Das unscheinbare Gelände ist einzigartig auf der Welt: Hier wurden tausende Fossilien gefunden: alleine über 10.000 versteinerte Fische, Fledermäuse, Schildkröten und Vögel. Die Vielzahl der Funde verdanken wir dem Ölschiefer, der von 1876 bis 1971 hier abgebaut wurde. Schon zu Beginn der Förderung wurde ein Alligatorenskelett gefunden.
Die Funde in Messel: Einmalig in Qualität und Zahl
Die Grube Messel war das erste deutsche UNESCO Weltkulturerbe, 1995 wurde sie in die Liste aufgenommen. Wir kennen das aus der Schule oder von Museumsbesuchen: Prähistorische Funde verbinden wir mit jeder Menge Knochen, filigranen oder massiven Skeletten, hauchdünnen Spuren von Insekten oder Blättern. All das findet man in der Grube Messel auch, aber darüber hinaus gibt es noch 47 Millionen Jahre alte Zeugnisse, die viel mehr zeigen: Organisches Material, zum Beispiel nicht nur das Skelett einer Schildkröte, sondern den ganzen Körper. So ist es der einzige Ort auf der Welt, an dem vollständige erhaltene Papua-Weichschildkröten gefunden wurde. Und: Farben. Käfer, Schmetterlinge sind in ihren originalen Farben erhalten.


Zwei besonders skurrile Funde: 2016 wurde eine Schlange gefunden, die eine Echse gefressen hatte – und in deren Magen steckte ein Käfer. Eine fossile Nahrungskette sozusagen. Weltweit gibt es nur ein einziges vergleichbares Exemplar.
2012 entdeckten Forscher neun Schildkröten-Paare, die während des Kopulierens vom Tod überrascht wurden. Vermutlich sind sie beim Sex in das tiefere, giftige Wasser des Vulkansees gesunken und gestorben.
Manche Arten wurden bisher nur in Messel gefunden. So beispielsweise der Darwinus masillae, ein Primat und das Lesmesodon edingeri, ein kleines fleischfressendes Säugetier. Berühmt sind die Messeler Urpferdchen, insgesamt wurden 70 Exemplare vier verschiedener Arten gefunden. In der gesamten USA: nur 2! Die größte Art, Propalaeotherium hassiacum wurde etwa so groß wie ein Schäferhund. Eurohippus messelensis, eine kleinere Art, von der bis heute 45 gefunden wurden, darunter mehrere trächtige Stuten. Sie sind übrigens keine direkten Vorfahren unserer heutigen Pferde, sondern eine Seitenlinie, die ausgestorben ist.


All das verdanken wir dem Ölschiefer, der die Überreste luftdicht konservierte. Ölschiefer bildet sich aus organischem Material wie Algen, Plankton und Bakterien die nach dem Absterben auf einen sauerstoffarmen See- oder Meeresboden gesunken sind. Viele Bilder und Informationen zu den Funden in der Grube Messel gibt es hier: Link
Joschka Fischer, die Urzeit-Python
Der ehemalige hessische Umweltminister unterzeichnete 1991 den Kaufvertrag für das Land Hessen und wurde 2004 mit einer besonderen Ehrung ausgezeichnet: Eine fossile Riesenschlange wurde nach ihm benannt: Palaeopython fischeri. Zumindest eine weitere Art hat ebenfalls einen prominenten Namensgeber: Der Protognathinus spielbergi, ein Hirschkäfer.
Eine unterhaltsame Führung
Das Gelände darf nur im Rahmen einer Führung betreten werden. Ich habe mich für die zweistündige entschieden – und ich kann mir nicht vorstellen, wie man all die vielen Informationen und Geschichten in kürzerer Zeit erzählen könnte. An verschiedenen Punkten der rund 3km langen Strecke wurden wir in die Zeit vor rund 47 Millionen Jahren entführt. Unser sehr unterhaltsamer Führer ließ mit Berichten über Forschungen, Quizes, Riechtests, Schätzfragen und Fotos ein lebhaftes Bild der wissenschaftlichen Arbeit und der spektakulären Funde entstehen. An einem Halt bekamen wir auch Fossilien zu sehen.


Auf einem Tisch die Abdrücke gefundener Tiere, auf dem anderen ein Berg Schiefer mit Abdrücken von Pflanzen, Käfern etc. Und ein paar … Steine? Früchte? Wir durften sie reihum in die Hand nehmen und raten. Es war: Urzeit-Kot, unter anderem von einem Krokodil!
Ausstellung

Im Besucherzentrum kann man Beispiele der überaus faszinierenden Fossilien sehen, die in der Grube gefunden wurden. Außerdem gibt es Einblicke in die Erdgeschichte. Ein Teppich führt durch 350 Millionen Jahre.
Mein Andenken an Messel: Eine fossile Fledermaus. Natürlich nur eine Replik – die Originale bleiben da, wo sie hingehören: ins Museum!

Verzweifelter Kampf gegen die Mülldeponie
Nach dem Ende des Bergbaues war die Nutzung der Grube Messel als Mülldeponie geplant. Erst als private Fossiliensammler immer mehr spektakuläre Funde machten, wurde klar, welcher Schatz hier verborgen lag. Dann begann der Wettlauf zwischen Forschern des Senckenberg-Museums und dem Bergamt, das die Nutzung als Deponie vorantrieb. Die Deponie gewann zunächst, 1981 wurde sie genehmigt und der Bau begann. Unter dem Druck der ab 1985 an der Regierung beteiligten Grünen wurde ein Baustopp verhängt. Die endgültige Rettung kam 1994, als das Land Hessen die Grube kaufte und die Forscher damit freie Bahn hatten.
Ein Gedanke zu “20. Grube Messel”